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Der Konsument ist rasch überfordert

Spezialitätenbiere haben es nach wie vor schwer in der Gastronomie, trotz anhaltendem Craftbiertrend. Wirtschaftshistoriker Matthias Wiesmann wagt einen Erklärungsversuch.

Dass Restaurants vermehrt Bierkarten führen, freut Matthias Wiesmann. (ZVG)

Matthias Wiesmann, laut Brauer Martin Wartmann von der Brauerei Fischingen leiden wir noch heute am 1991 aufgelösten Bierkartell.  Stimmen Sie zu? 
Sicher stimmt es, dass das Bierkartell auch noch nach dessen Ende für einige Zeit eine Innovationsbremse darstellte. Doch dass wir noch heute in den meisten Restaurants kaum eine Auswahl vorfinden, hat einen anderen Grund. 

Welchen? 
Der  Durchschnittskonsument ist bei einer grossen Bierauswahl rasch überfordert. Es ist bezeichnend, dass selbst im Bierland Deutschland die Bierauswahl in der Gastronomie ziemlich überschaubar ist. 

Gut, aber dort gilt noch immer das deutsche Reinheitsgebot. 
Selbst unter Einhaltung des deutschen Reinheitsgebotes ist eine grössere Varietät an Bier möglich, als häufig angeboten wird. Ich glaube eher, dass die Nachfrage nach Spezialitätenbieren sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz noch nicht so gross ist, wie häufig behauptet wird. 

Wie erklären Sie sich dann, dass die Biervielfalt zum Beispiel beim Detailhändler stetig zuzunehmen scheint?
Damit, dass es eine kleine, genussfreudige Community gibt, die bereit ist, mehr Geld für gutes Spezialitätenbier auszugeben. In der restlichen Bevölkerung hält sich  die Bieraffinität noch in Grenzen. Das beobachte ich auch als Gast.

Wie meinen Sie das? 
Ich erlebe es häufig, dass ein Restaurant zwar eine Bierkarte hat, aber ausser mir niemand etwas daraus bestellt. Damit wären wir wieder bei der Überforderung: Der Gast weiss nicht, wie die Spezialitätenbiere schmecken und ob sie zu seinem Menü passen. Weil profunde Schulungen in Sachen Bier noch eher selten sind, können ihm oft auch die Mitarbeitenden nicht helfen. Also entscheidet sich der Gast im Zweifelsfall für Wein.

Warum wählt er fast automatisch Wein als Alternative?  
Wein ist stark in unserer Kultur verankert. Rebbau wird hier schon seit der Antike betrieben. Beim Bier hingegen wurden sowohl das Know-how als auch die Rohstoffe vor allem aus Deutschland importiert. Zudem galt das Bier lange als preiswerter Durstlöscher der Arbeiterschicht. Hier hat zwar ein Imagewandel stattgefunden, doch bis dem Durchschnittskonsumenten der hohe Genusswert des Bieres bewusst wird, dürfte es noch etwas dauern.

(Interview Désirée Klarer)


Zur Person

Matthias Wiesmann (44) studierte Geschichte an der Universität Zürich und schloss mit einer Arbeit über die Brauerei Hürlimann ab. Bekannt wurde er mit seinem Buch «Bier und Wir», in welchem er die Schweizer Biergeschichte beleuchtet. Heute arbeitet er unter anderem als Haushistoriker der ZKB. 
Matthias Wiesmann

Mehr Informationen unter:
www.transmissionen.ch