Bratwurst und Bier sind für zahlreiche Besucher von Open-Air-Veranstaltungen ein wichtiger Bestandteil des Gesamterlebnisses. Doch viele Events haben kulinarisch mehr zu bieten.
Die Schweizer – ein einig Volk von Festbrüdern und -schwestern. Vom Schwingfest bis zur Streetparade, vom Historienspiel bis zum Kinderfest – für alle Alters- und Interessengruppen ist etwas dabei. Und das ist auch gut so, findet die Marketingorganisation Schweiz Tourismus, denn: «Viele Open-Air-Veranstaltungen haben eine sehr hohe Wertschöpfung und wirtschaftliche Bedeutung für die jeweilige Region. Auch gibt es Festivals, die eine weltweite Ausstrahlung haben», sagt André Aschwanden, PR-Projektleiter Unternehmenskommunikation bei Schweiz Tourismus. Er nennt als Beispiele das Montreux Jazz Festival und das Locarno Film Festival. «Solche Events beeinflussen das Image einer Region positiv.» Doch auch kleinere, international weniger bekannte Anlässe in Randregionen haben einen wirtschaftlichen Nutzen. Dies vor allem, wenn lokale Leistungsträger miteinbezogen werden. Sei es für den Bühnenbau oder die Unterbringung und Verpflegung der Künstler, Mitarbeitenden und Besucher.
Wie viele Logiernächte und Wertschöpfung ein Open-Air-Event generiert, hängt nicht nur von der Art und Dauer des Anlasses und seinem Standort ab. Es kommt auch darauf an, wie geschickt die Gastgeber, Handwerker und Gewerbetreibenden der Region den Anlass für sich zu nützen wissen.
Gute Beispiele sind die Regionen Thunersee, Heidiland und Murtensee mit ihren Musicals und historischen Freiluftevents. Während der Spielzeiten gibt es jeweils ein breites Angebot an Packages mit und ohne Übernachtung, Spezialdinner oder Transport zum Spielort. Am Walensee erreichte man 2015 mit «Titanic» eine Nettowertschöpfung von etwa drei Millionen Franken.
Am Thunersee beziffert eine Studie aus dem Jahr 2009 die Wertschöpfung für die Region mit 20 Millionen Franken. Dem gegenüber stehen Produktionskosten in Höhe von rund acht Millionen Franken. 80 Prozent davon werden durch Ticketverkauf gedeckt, die restlichen 20 Prozent durch Sponsoring und Einnahmen aus der Eventgastronomie.
Diesen Sommer wird auf der Thunerseebühne das Musical «Sugar. Manche mögen’s heiss» aufgeführt. Die Organisatoren rechnen mit 1800 Besuchern pro Aufführung (insgesamt 50 000), von denen etwas über die Hälfte gastronomische Dienstleistungen in Anspruch nehmen wird. Dazu stehen ein Musicalrestaurant, eine Musicalbar und der Musicalgarten zur Verfügung. Jedes mit eigenem Konzept: Im Restaurant wird schön aufgetischt, der Hauptgang wird serviert, Vor- und Nachspeise stehen auf Buffets zur Selbstbedienung bereit. In der Musicalbar werden Apéros und Menüs für Gruppen und Firmenkunden angeboten. Und im Musicalgarten bedienen sich die Gäste selbst vom Buffet mit Salat und warmen, regionalen, dem Musicalthema angepassten Speisen. Für das Gastronomiekonzept und dessen Umsetzung verantwortlich ist «dine & shine Eventcatering». Die Speisen werden unter Einbezug erstklassiger Convenience-Produkte in einer Küche auf dem Musicalgelände zubereitet und auf hochwertigem Porzellangeschirr angerichtet. Nur im Musicalgarten wird vereinzelt auch Einweggeschirr verwendet.
«Dank des Mehrweggeschirrs und des Verzichts auf Werbematerialien in der Gastronomie konnten wir den Abfall um 70 Prozent reduzieren», sagt Silvia Burkhard, Medienverantwortliche der Thunerseespiele AG. «Unser Partner, «dine & shine Eventcatering», verfügt über ein entsprechendes Nachhaltigkeitskonzept.
Gerade bei mehrtägigen Musikfestivals ist Abfall ein wichtiges Thema. Am Quellrock Open Air in Bad Ragaz versucht man mit einem Depotsystem, das Abfallproblem in Grenzen zu halten. Depot gilt auf allen Mehrwegbechern und auf allen PET-Flaschen. Zudem herrscht auf dem gesamten Festareal ein striktes Glas- und Dosenverbot. An den Verpflegungsständen wird Einweggeschirr aus Kunststoff verwendet. «Echtes Geschirr gibt es nur für die Künstler im Backstage-Bereich. Sie erhalten ein vollwertiges dreigängiges Menü», erklärt OK-Präsident Andy Hartmann. Die Helfer und Besucher hingegen verpflegen sich an den vier bis fünf Foodständen, im Festzelt und an den drei Bars.
Jedes Jahr wird ein spezieller Quellrock-Drink kreiert. Ebenso legendär wie die Drinks an diesem Festival ist das Schnitzelbrot. Bekocht werden die Gäste am zweitägigen Open-Air rund um die Uhr. Die festivaleigene Kochbrigade besteht aus Helfern und OK-Mitgliedern. Sie bereiten die Mahlzeiten und Snacks in der Mannschaftsküche im Mehrzweckgebäude von Bad Ragaz vor. Die finale Zubereitung findet dann auf dem Festivalgelände auf der Ruine Freudenberg statt. Pro Einsatzschicht unterstützt mindestens ein lokaler Koch die Quellrock-Brigade.
Definitiv nicht selber in die Küche stellt sich Marco Wyss. Auch wenn dieses Jahr auf der Walenseebühne kein Musical aufgeführt wird, hat der Initiant viel zu tun. Denn die «Titanic», eine Produktion der Walenseebühne, wird diesen Sommer im Lago di Lugano untergehen. Erwartet werden bis zu 45 000 Besucher, von denen sich ein grosser Teil an den Foodständen auf dem Musicalgelände verpflegen wird. «Der Durchschnittsbon liegt bei 21 Franken», sagt Johanna Hürlimann, Bereichsverantwortliche HR und Produktion. Verantwortlich für die Verpflegung ist der Migros-Cateringservice. Er betreut auch das Restaurant. Es hat 200 Sitzplätze.
Während die Migros bei «Titanic» mit an Bord ist, sorgt die Coop-Weinbar bei «Sugar. Manche mögen’s heiss» dafür, dass die erlesenen Weine im Musicalrestaurant perfekt temperiert kredenzt werden. Bei beiden Musicals werden der Show angepasste Gerichte serviert.
Ebenfalls auf themengerechte Speisen Wert legen die Organisatoren von «Helvetische Revolution». Dieses historische Theaterevent und Freilichterlebnis findet am Murtensee statt. Wie beim letztjährigen historischen Grossevent «Murten 1476» liegt die kulinarische Verantwortung erneut bei Mille Portails. Dieses, auf Grossanlässe spezialisierte Cateringunternehmen wird von Dieter Walliser und Alex Freiburghaus geleitet. Für die «Helvetische Revolution» in Murten haben sich Walliser und Freiburghaus kulinarisch auf die Zeit des Ancien Régime um 1798 eingelassen. So gibt es unter anderem Brennnesselrahmsuppe, Landfrauen-Terrine und Ratsherrenwürste zu essen.
Hergestellt werden die Speisen in der Mille-Portails-Produktionsküche in Bern. Hier wird seit ein paar Wochen schon für die «Helvetische Revolution» vorproduziert. Ohne Zeitdruck entstanden so: 1,25 Tonnen gebundene Kalbshaxen, 300 Liter jus au vin rouge, 300 Liter Fischsuppe mit Safran, 300 Liter Brennnesselsuppe, 500 Kilo Muniragout und 20 000 Mini-Desserts.
Im Patrizierstübli, dem VIP-Bereich, wird den Gästen ein authentisches Drei-Gang-Menü aus der Region aufgetischt. Dies sowohl in einer fleischhaltigen als auch in einer vegetarischen Version. Gespeist wird von Porzellantellern mit Motiven aus jener Zeit. Getrunken wird aus Nostalgie-Gläsern und gesessen auf gepolsterten Stühlen aus der Brockenstube.
Auch auf dem Revolutionsplatz, dem Publikumsbereich des Eventgeländes, wird möglichst historisch-authentische Gastronomie geboten. Hier herrscht allerdings Selbstbedienung. Pro Aufführungstag rechnen die Organisatoren mit etwa 1000 Gästen, davon 250 im bedienten Patrizierstübli. Zusätzlich werden Mitarbeitende und Künstler verpflegt. Dabei wird auf «Risikoprodukte» wie beispielsweise Knoblauch verzichtet. Er könnte bei Sprech- und Stuntszenen schlecht bekömmlich sein oder gar ein gesundheitliches Risiko darstellen.
Eine grosse Herausforderung bei Open-Air-Veranstaltungen sind immer das Wetter und die Logistik. Ersteres muss man nehmen wie es kommt, Letzteres gilt es minutiös zu planen. Doch selbst bei der besten Planung und der erfahrensten Crew kann es immer wieder unerwartete Knacknüsse zu lösen geben. Zum Beispiel, wenn eine Aufführung plötzlich abgesagt oder wegen Sturm mitten im Spiel abgebrochen wird. Das kann Küche und Service ganz schön ins Schleudern bringen.
Einen kleinen Albtraum erlebten Dieter Walliser und Alex Freiburghaus von «Mille Portails» im Jahr 2013. Sie waren am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest in Burgdorf für die Verpflegung von 1600 Gästen während einer Schwingpause von 60 Minuten zuständig. Im Rahmen der Vorbereitungen hatten sie am Vortag 400 Kilo Kartoffelstock in den Kühlcontainer gestellt. Über Nacht gab es auf dem Festgelände einen Stromausfall. Drei Stunden vor dem Service stellten Walliser und Freiburghaus fest, dass der Kartoffelstock inzwischen sauer geworden war. In Windeseile organisierten sie 500 Kilo Country Cuts, zusätzliche Fritteusen, Öl und disponierten die Küchenbrigade so um, dass sie pünktlich um 12 Uhr servieren konnten.
Eventgastronomie ist eben nicht nur für die Gäste und Künstler, sondern auch für die Gastgeber ein Erlebnis.