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«Zusatzstoffe in Lebensmitteln werfen viele Fragen auf»

Der Bündner Adrian Hirt veredelt Kuhfleisch aus der Surselva nach dem Rezept seines Urgrossvaters. Bündnerfleisch darf er es aber nicht nennen.

Für Adrian Hirt bedeutet Qualitätskontrolle nicht nur die Begutachtung des fertigen Produkts. Er besucht auch regelmässig seine Fleischlieferanten. (ZVG)

HGZ: Adrian Hirt, Sie nennen Ihr Trockenfleisch Bergfleisch. Weshalb nicht Bündnerfleisch?

Adrian Hirt: Seit September 2000 ist der Begriff Bündnerfleisch eine geschützte geographische Angabe (GGA/IGP). Das Pflichtenheft handelten die grossen Produzenten aus, und die Fabrikation hat sich streng nach deren Regeln zu richten. Ich stelle viele Konventionen infrage.

Was zum Beispiel?

Weshalb schreibt das Pflichtenheft bis zu meiner Intervention im Jahr 2014 die Verwendung von industriellen Zusatzstoffen vor? Pökelstoff zum Beispiel macht das Fleisch unnatürlich rot. Angeblich wollen das die Konsumentinnen und Konsumenten so. Der Pökelstoff uniformiert aber auch den Geschmack. Ob Geniesserinnen und Geniesser das wirklich wollen? Dann frage ich mich, weshalb das Reglement vorsieht, Bündnerfleisch in eine rechtecki-ge Ziegelform zu pressen? Am Allerwenigsten kann ich nachvollziehen, weshalb es erlaubt – und auch üblich – ist, Bündnerfleisch aus importierten Rindern herzustellen. Und weshalb es in Fleisch- und Wurstwaren Zucker braucht, um die Textur und Konsistenz zu beeinflussen?

Zucker kennen alle. Doch was genau sind Pökelstoffe?

Pökelsalze oder Nitritpökelsalze sind Gemische aus Speisesalz und Salzen der Salpetersäure, darunter künstlich hergestelltes Natriumnitrit (E250). Nitrit wandelt sich im Körper zu Nitrosaminen um und steht im Verdacht, krebserregend zu sein.

Sie produzieren nach dem Rezept Ihres Urgrossvaters. Sind Ihre Produkte gesünder?

Reden wir erst über das Rezept meines Urgrossvaters. Er verwendete nur Wein, Alpensalz, Pfeffer, Knoblauch und einige Geheimzutaten. Das machen wir heute noch genau gleich. Und das Wichtigste: Wir verarbeiten kein Importfleisch aus Übersee, sondern ausschliesslich Fleisch von Tieren aus der Surselva, dem Tal zwischen Flims und Sedrun. Kurze Transportwege sind schon mal ein Plus für die Umwelt.

Würde sich das Fleisch aller Rinder im Tal eignen?

Nein. Mein Grossvater sagte immer, dass es für gutes Bindenfleisch eine gute alte Kuh brauche. Aus einer ausgemagerten Milchkuh gebe es nichts Gutes. Im Alpahirt-Fleisch stecken heute im Durchschnitt zehnjährige Mutterkühe, die acht Kälber geboren haben und mindestens sieben Sommer auf der Alp weideten. Die älteste bisher verarbeitete Kuh war Angela aus Vals mit 21 Jahren.

Welche Vorteile hat das Fleisch von «alten» Kühen?

Mit zehn Jahren sind die Kühe noch nicht wirklich alt. Rinder haben eine Lebenserwartung von bis zu 25 Jahren. Das Fleisch älterer Tiere ist besonders schmackhaft. In der Verarbeitung brauchen wir weniger Gewürze. Doch wichtiger als das Alter der Tiere sind Fütterung und Gesundheit. Weil die Tiere artgerecht nur Gras und Heu fressen und den Sommer auf der Alp verbringen, enthalten ihre Muskeln besonders viele der für uns lebenswichtigen Omega-Fettsäuren.

Ihre Produkte sind also doch gesünder?

Auf jeden Fall (lacht). Fleischprodukte von Alpahirt sind vollgepackt mit sekundären Pflanzenstoffen und Proteinen. Vor allem sind sie frei von Allergenen. Gesünder ist unsere Art der Fleischproduktion auch für die Tiere. Diesbezüglich braucht es dringend eine Fleischrevolution.

Wie sieht die Fleischrevolution in Ihren Augen aus?

Die Surselva und die Alpen generell sind Grasland. Wir Menschen können uns Gras für unsere Ernährung nur erschliessen, wenn wir Wiederkäuer wie Rinder, Schafe oder Ziegen halten. Doch das allein reicht nicht. Für Alpahirt ist wichtig, dass die Landwirte kein Kraftfutter verwenden. Doch diese Art der Fleischproduktion ist teuer. Würde Fleisch nicht immer günstiger angeboten, gäbe es keine Massentierhaltung. Auch gäbe es dann zum Thema Fleisch nicht so emotionale und häufig einseitige Diskussionen.

«Fleisch von zehnjährigen Mutterkühen hat einen intensivenGeschmack.»

Wie meinen Sie das?

Rinder gelten, belegt durch Beispiele aus der Massentierhaltung, als Klimakiller. Dass das von Wiederkäuern abgefressene Gras beim Nachwachsen mehr CO2 bin-det als die gleiche Fläche Wald, ist kaum bekannt. Ihr Kot fördert die Bodenfruchtbarkeit, und die Artenvielfalt hängt existenziell von der Weidetierhaltung ab. Weniger Kuhfladen heisst weniger Insekten und somit auch weniger Vögel. Dort, wo Alpweiden nicht mehr von Weidetieren bestossen werden, vergandet das Land sehr schnell. Büsche breiten sich aus. Von Insekten genutzte Blütenpflanzen verschwinden. Weide-boden ist nach dem Ozean der grösste Kohlenstoffspeicher der Welt. Wir brauchen die Kuh also.

Essen Sie als Fachmann in der Fleischbranche jeden Tag Fleisch?

Meine Frau ist Vegetarierin. Ausser Fleisch von Alpahirt kommt zu Hause, wenn wir Gäste haben, manchmal ein Stück Weidefleisch auf den Tisch. In Restaurants wähle ich Fleischgerichte sehr selektiv. Ist die Herkunft nicht glaubwürdig deklariert, verzichte ich. Da fällt mir noch eine Anekdote ein.

Bitte, erzählen Sie.

Als ich mit Alpahirt begonnen habe, gab es Salsiz aus dem Fleisch der achtjährigen Kuh Greta, ein Grauvieh aus Andiast, und einen von der 16-jährigen Susi, einer Limousin-Kuh, die auf verschiedenen Alpen war. Diese zwei Salsize schmeckten komplett anders. Der Konsument verstand dies nicht, so dass wir heute jeweils drei bis vier Tiere «zusammenmischen».

Wo gibt es die Produkte von Alpahirt zu kaufen?

Wir sehen uns als Vermittler zwischen Landwirten, Produktionsbetrieben sowie Kunden. Die Produkte sind schweizweit bei rund 150 Partnerbetrieben erhältlich. Aktuell haben wir ein tolles Angebot für Gastronomen, denen Geschmack und Tierwohl wichtig sind. Zudem betreiben wir einen Blog mit Webshop, über den Kunden direkt bei uns bestellen können.

(Interview Gabriel Tinguely)


Zur Person

Adrian Hirt (38) lernte Chemielaborant, holte die Berufsmatura nach und studierte Lebensmitteltechnologie. Anschliessend arbeitete er in einer Metzgerei und als Cowboy in Kanada. 2014 gründete er die heutige Alpenhirt AG. Adrian Hirt ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.

Mehr Informationen unter:

alpahirt.ch