Mediadaten Données Media Olympiade der Köche

Der Lohn ist nicht alles

Immer mehr Fachkräfte kehren dem einst als krisensicher bezeichneten Gastgewerbe den Rücken. Jene, die bleiben, wünschen sich faire Arbeitsbedingungen und Wertschätzung.

  • Laut der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH verschärft der Ausfall von Mitarbeitenden wegen der Omikron-​Welle die bereits davor angespannte Personalsituation zusätzlich. (KeyStone-SDA)
  • Unter dem Personalmangel leiden vor allem die Mitarbeitenden, die der Branche trotz Krise treu geblieben sind. (Pexels)
  • Bettina Gabriel war ­zuletzt als Küchen­chefin und Co-Gast­geberin des Berggasthauses Klewenstube in Beckenried/NW tätig.
  • Andreas Beerli sagt: «Mit einem Lohn von 4600 Franken kann man als Familienvater und Alleinverdiener nicht überleben.»
  • Beat Gartenmeister hat das Gastgewerbe im März 2021 verlassen. Seither arbeitet er als Projektkoordinator bei der Gehrig Group.

Lange Zeit galt das Gastgewerbe als jene Branche, in der man als gut ausgebildete Fachperson ohne Probleme eine tolle Stelle finden konnte. Vollkommen egal, wie es der Wirtschaft insgesamt gehen mochte. Dieses Bild wurde durch den Einzug der Corona-Pandemie vor knapp zwei Jahren zerstört.

Betriebe sahen sich auf einmal gezwungen, Mitarbeitende zu entlassen oder in Kurzarbeit zu schicken, um überhaupt überleben zu können. Stellensuchende in der Gastronomie wiederum erhielten auf Bewerbungen vermutlich zum ersten Mal in ihrer beruflichen Laufbahn hauptsächlich negative Rückmeldungen.

Chefin revanchiert sich mit Flugtickets nach Südafrika

Diese Beobachtung machte auch Beat Gartenmeister. «Während des Lockdowns war es sinnlos, Bewerbungen zu verschicken. Es kamen sowieso nur Absagen oder Angebote auf Stundenlohnbasis», sagt der gelernte Koch, der unter anderem die Zusatzlehre zum Restaurantfachmann absolviert hat. Seine letzte Arbeitsstelle im Gastgewerbe hatte Gartenmeister im Restaurant Müli in Mülligen im Kanton Aargau. In dem auf Hochzeiten spezialisierten Betrieb war Gartenmeister während vier Jahren als Anlassleiter tätig. «Das Restaurant Müli war ein schönes Restaurant, das mir gut gepasst hat. Hinzu kommt, dass ich eine tolle Chefin hatte», sagt Gartenmeister. Eine Chefin, die es honorierte, wenn sich Mitarbeitende für den Betrieb einsetzten. Beat Gartenmeister nennt ein Beispiel: «Während einer Sommersaison verstarb der Mann meiner Arbeitskollegin. In jenem Sommer arbeitete ich gut zwölf Stunden pro Tag. Meine Chefin hat mir daraufhin den Hin- und Rückflug nach Südafrika spendiert und eine Reiseversicherung für mich abgeschlossen.» Ein weiteres Beispiel sei der alljährliche Ausflug, den das Team jeweils im Anschluss an die strenge Sommersaison gemacht habe. «Mit dem Trinkgeld, das bei Banketten eingenommen wurde, ging das ganze Team in ein Fünfsternehotel, all inclusive. Unsere Chefin stockte den Betrag jeweils auf, wenn dieser noch nicht ausreichte», sagt Beat Gartenmeister.

Leider seien solch tolle Vorgesetzte im Gastgewerbe selten. «Es war ein spezieller Betrieb. Eine solche Wertschätzung und auch das grosse Vertrauen, das mir meine Chefin entgegenbrachte, hatte ich im Gastgewerbe davor noch nicht erlebt.» Als seine Chefin ihm und den anderen Mitarbeitenden im zweiten Lockdown eröffnete, dass sie den Pachtvertrag nicht verlängern würde, beschloss Gartenmeister, die Branche zu verlassen. Er hätte sich schon davor immer mal wieder überlegt, der Gastronomie den Laufpass zu geben. «Was sicher zu meinem Entschluss beigetragen hat, ist meine Freundin. Sie arbeitet zu Bürozeiten. Mit einer Arbeit im Gastgewerbe konnte ich sie so gut wie nie sehen.»

Seine neue Arbeit als Projektkoordinator gefällt ihm. Er habe nun einen höheren Lohn, weniger Stress, geregelte Arbeitszeiten und erhalte ohne Diskussion dann frei, wenn er frei brauche oder ­haben wolle. «Es ist einfach die Art und Weise, wie mit Mitarbeitenden umgegangen wird, die ganz anders ist. Im Gastgewerbe wird man leider oft wie ein Sklave behandelt», sagt er.

«Die Work-Life-Balance im Gastgewerbe ist unterirdisch.»

Beat Gartenmeister, Projektkoordinator, Gehrig Group


Um dem Personalmangel im Gastgewerbe die Stirn zu bieten, müsste die Branche seiner Meinung nach bei den Lehrbetrieben ansetzen. «Viele Betriebe sind nicht dazu geeignet, Lernende auszubilden.» Dies sei ein Teufelskreis. Durch zu wenig gut ausgebildete Fachkräfte arbeiten jene, die in der Branche bleiben, oftmals für zwei. Stress und Hektik seien an der Tagesordnung.

Flexibilität für beide Seiten nötig

Stress und Hektik ist der gelernte Restaurantfachmann Andreas Beerli gewohnt. Seit fünf Jahren ist Beerli Freelancer. Von Januar bis März war er jeweils auf Reisen, von April bis Oktober voll für einen einzigen Betrieb eingespannt und den Rest der Zeit über die Jobplattform Coople tätig. «In den neun Monaten arbeitete ich im Schnitt an sechs Tagen die Woche Vollzeit. Dies für einen Stundenlohn von 35 Franken Brutto», sagt er. Damit und mit dem Trinkgeld, das er erhalten habe, habe er sehr gut leben können. «Ich konnte mir damit nicht nur das Reisen finanzieren, sondern auch meine Rechnungen begleichen.»

Da Andreas Beerli letzten Dezember zum ersten Mal Vater geworden ist, möchte er nun eine Festanstellung suchen. Wichtig sei ihm eine Arbeitsstelle, bei der er ohne Zimmerstunde arbeiten könne. «Zudem sollte die so oft gepredigte Flexibilität für beide Seiten gelten und die Kommunikation zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer stimmen. Ich glaube, dann findet sich für fast alles eine Lösung», sagt er.

Auch zum Lohn hat Beerli klare Vorstellungen: «Für eine Stelle als Chef de rang sollte dieser schon bei 5200 Franken liegen, plus Trinkgeld. Je nach ­Arbeitsstelle kann der Lohn auch etwas höher oder niedriger sein. Zudem muss das Team stimmen.» Ein Branchenwechsel kommt für Andreas Beerli nicht in Frage. Er sagt: «Zum einen wäre es dafür wohl schon etwas spät, zum anderen gefällt mir meine Arbeit. Ich habe Freude am Gastgewerbe.»

Mehr Forderungen möglich

Auch Bettina Gabriel ist aktuell auf Stellensuche. Vor fünf Jahren hat die gelernte Malerin ihre Zweitausbildung zur Köchin abgeschlossen. «Kochen ist mein absoluter Traumjob. Ich mache ihn mit sehr viel Herzblut», sagt Gabriel. 2020 stiess sie als Sous-chefin zum Berggasthaus Klewenstube in Beckenried/NW und arbeitete sich bis zur Küchenchefin und Co-Gastgeberin hoch. Trotz der angespannten Lage sei es ihr nie in den Sinn gekommen, die Branche zu wechseln. Nicht nur, weil sie ihre Arbeit liebe. «Wir hatten viele Benefits und haben viel Flexibilität seitens Arbeit­geber erfahren. Doch es ist klar, dass nicht alle gastgewerblichen Betriebe diese Möglichkeiten haben», sagt sie. Wenn ein Betrieb selbst zu kämpfen habe, könne dieser kaum hohe Löhne zahlen oder mit Benefits locken, die Geld kosten. «Auch Flexibilität ist aufgrund des Personalmangels ­sicher für viele Betriebe schwierig.» Doch es gebe durchaus Betriebe, die zumindest versuchen, den Mitarbeitenden entgegenzukommen. «Zum Beispiel, indem sie die Zimmerstunde abschaffen und stattdessen verstärkt auf Schichtbetrieb setzen», sagt Bettina Gabriel. Die Verhandlungsposition habe sich für sie als gelernte Fachkraft deutlich verbessert. «Gut ausgebildete Fachkräfte können mehr Forderungen stellen als noch vor der Krise», stellt sie fest. Sie sei als gelernte Fachperson auf dem Arbeits­- markt sehr gefragt.

«Viele Mitarbeitende sind nicht mehr bereit, mit Zimmerstunde zu arbeiten. Zu diesen gehöre auch ich.»

Bettina Gabriel, Gelernte Köchin auf Stellensuche


Gabriel hat klare Vorstellungen davon, was nötig sei, damit der Fachkräftemangel zumindest eingedämmt werden könne. «Arbeitgeber müssen faire Löhne zahlen und darauf schauen, dass die Mitarbeitenden ihre Ruhezeiten einhalten können. Das ist in der Gastronomie leider selten der Fall. Zudem sollten die Leute mit Respekt behandelt werden.» Für sie seien das Team, der Auftritt des Betriebes und die Küche letztlich ausschlaggebend. «Der Lohn ist für mich zweitrangig. Doch es ist ein Fakt, dass man im Gastgewerbe wenig verdient. Für einige ist es an der Grenze dessen, was zum Überleben nötig ist. Da muss sich etwas tun.»

(Désirée Klarer)


Ein Blick über die Grenze zeigt: Auch in den Nachbarländern ist man bemüht, den allgegen­wärtigen Fachkräftemangel zu entschärfen.

  • In Kärnten (AT) wurde Ende Januar ein 300 000 Euro schweres Massnahmenpaket geschnürt, um Talente für den Tourismus zu ­begeistern.
  • Visionäre für die Hotellerie 
    Der Verein Fair Job Hotels mit Sitz in Deutschland und das Branchen-Ranking «Die 101 besten Hotels» einten Anfang ­Februar ihre Kräfte. Gemeinsam setzen sie sich für Hotels und deren Mitarbeitende ein. ­Geplant sind gemeinsame ­Aktionen sowie ein regelmässiger Austausch.
  • «Löhne und Arbeitszeitmodelle müssen attraktiver werden», sagt Walter Hagen, Präsident des Liechtensteiner Hotellerie- und Gastronomie­verbands gegenüber der Zeitung «Liechtensteiner Vaterland».
  • Einigung in Frankreich
    Die Gewerkschaft CFDT und ­Arbeitgeber einigten sich Ende Januar 2022 auf eine neue Lohntabelle. Die Basislöhne werden um gut 16 Prozent an­gehoben. Damit liegen sie um fünf Prozent über dem staatlich festgelegten Mindestlohn, lässt «Le Parisien» verlauten.

Informationen

gehriggroup.ch
klewenalp.ch