Am St. Moritz Gourmet Festival zeigten Gastköche aus den Vereinigten Staaten, wohin die gastronomische Reise gehen könnte.
Seit jeher gilt Amerika als Trendschmiede der Welt. Hollywood, was Filme angeht, Silicon Valley, was die neuesten elektronischen Entwicklungen betrifft, oder New York in Sachen Mode. Es sind jedoch auch kulinarische Trends, die in den USA geboren werden und sich in der ganzen Welt verbreiten. Am St. Moritz Gourmet Festival präsentierten sich zehn Gastköche mit ihren Spezialitäten. Jeder kreierte seinen Signature Dish in den Partnerhotels des Festivals. Dabei trug jedes der Gericht die unverkennbare Handschrift des Chefs.
Melissa Kelly, Küchenchefin dreier Restaurants und Farmbesitzerin, zeigt, in welche Richtung die Regionalität oder auch die Farm-to-Table-Bewegung geht. Sie bewirtschaftet rund um ihr Restaurant Primo an der Küste des Bundesstaats Maine einen Bauernhof. Was mit einem Gewächshaus, einem grossen Biogarten und zwei Schweinen begann, umfasst heute Masthähnchen und Haushühner, Enten, Perlhühner und neun Schweine. Während der Hauptsaison kommen rund 80 Prozent aller Zutaten, die in der «Primo»-Küche verwertet werden, vom eigenen Hof. Seien dies Schinken, Käse, Gemüse, Früchte oder Kräuter. Die Karte wechselt im Hauptrestaurant täglich. «Für mich ist diese Art zu kochen kein Konzept, sondern Lebensstil», sagt die Powerfrau. Seit rund 18 Jahren wirtschaftet sie sehr erfolgreich. Zweimal wurde sie mit dem renommierten James Beard Award ausgezeichnet. Unter Kollegen geniesst die Vorreiterin einen ausgezeichneten Ruf.
Die Chefin lebt auf ihrem Bauernhof in Maine und arbeitet besonders im Sommer häufig in Stall und Garten mit. Melissa Kellys gesamte Küchenbrigade ist in die Arbeit auf der Farm eingebunden, um zu lernen, was es bedeutet, Lebensmittel anzubauen, das Land zu bestellen und Tiere zu lieben. Einmal wöchentlich tauschen sie die Küchenschürze gegen Gummi-stiefel aus und misten die Hühnerställe oder ernten Microgreens, das sind junge Gemüsesprossen.
Seit 2003 betreibt Melissa Kelly in Partnerschaft mit den J.W.-Marriott-Hotels weitere Restaurants in Orlando und Tucson. Auch diese Mitarbeiter helfen wäh-rend einer Woche jährlich auf der Farm in Maine. Um ihre Restaurants liegen ebenfalls Gärten. Und das Restaurant in Florida wird mit Produkten von einem eigenen Hof beliefert. Ihren ersten Koch-unterricht erhielt Melissa Kelly in der Küche ihrer italienischen Grossmutter. Noch heute bevorzugt sie mediterran ausgerichtete Gerichte wie «Nonno Primo’s Pork Saltimbocca» – das sie auch im Engadin kochte – oder «Malfatti with house Prosciutto».
Da die vegetarische Küche auch in den USA am Kommen ist, zählt zu ihren Signature Dishes die hausgemachte Pasta, in deren Teig eigener Ricotta eingearbeitet wird. Je nach Saison kommen dazu wilde Pilze, Spinat, Erbsen, Kürbis und Kräuter. Gekocht wird das Gericht in Pilzbrühe. Melissa Kelly ist sicher, dass die Farm-to-Table-Idee weiterwachsen wird: «Die junge Generation achtet sehr auf die Umwelt. Mein Kochen entspricht ihrem Life-style.» Sie empfiehlt jungen Chefs dringend, nach lokalen Produzenten Ausschau zu halten und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Eine eigene Farm zu betreiben, sei aufwendig. Das können und wollen sich nur wenige leisten.
Rick Moonen geht einen Schritt weiter. Der Küchenchef und Kochbuchautor kämpft seit über 30 Jahren für einen nachhaltigen Umgang mit Meeresfrüchten. Er sagt, dass wie mit Bauern so auch mit Fischern zusammengearbeitet werden muss. Der Koch ist Haupteigentümer des Restaurants RM Seafood und Rx Boiler Room in Las Vegas und bietet dort Sushi, Rawfood sowie eine international inspirierte Küche an.
Mit seinem Auftritt vermittelte Rick Moonen im Waldhotel Sils gleich drei Trends: Das Menü war sehr international, von einer leichten Säure geprägt und bestand aus Fisch aus nachhaltigem Fang. Er kochte unter anderem eine Cremesuppe von der Alaska-King-Krabbe, Tataki von der Gelbflossenmakrele mit Grapefruit, Avocado und Yuzu, Salat von grüner Papaya mit Erdnüssen, gebratener Jakobsmuschel und Limetten-Chili-Vinaigrette oder Lachsfilet mit marokkanischen Gewürzen, Blumenkohl-Mousse und Zitrusfruchtemulsion.
Der kämpferische Rick Moonen konnte mit seinem unermüdlichen Einsatz bereits den Bestand der Schwertfische drastisch verbessern. Er weiss heute, dass Köche auf der ganzen Welt die Macht haben, etwas zu verändern: «Wir sind zahlreich, unsere Stimme hat Gewicht. Wir beherrschen einen Teil des Marktes, also stehen wir in der Verantwortung.» Am besten sei es, mit einem Fischer aus der Nähe zusammenzuarbeiten. Doch die Zukunft sieht er in der Aquakultur oder noch besser in der Aquaponik*, bei der Fische wie der Tilapia bestens gedeihen.
Dass die mexikanische Küche viel mehr als Empanadas, Enchiladas und Fachitas zu bieten hat, ist eigentlich klar. Doch ein gutes, mexikanisches Restaurant zu finden, ist schwer. Auch hier sind uns die Staaten voraus. Enrique Olvera zelebriert seine einzigartige, mexikanische Spitzenküche seit zweieinhalb Jahren im Restaurant Cosme in New York City. Im Alter von 24 Jahren eröffnete er sein erstes Restaurant Pujol in Mexiko. Er gilt als Wegbereiter der neuen mexikanischen Küche und zählt derzeit zu den kreativsten Spitzenköchen der Welt. Enrique Olvera vergleicht den Siegeszug der mexikanischen Küche mit derjenigen Italiens, als bekannt wurde, dass dort mehr als Pizza und Pasta gekocht werden und dass in Rom andere Spezialitäten auf den Tisch kommen als in Venedig.
Seine Gerichte basieren auf der komplexen und reichhaltigen Küche Oaxacas. Sie sind geschmacklich intensiv und weisen eine grosse Vielfalt an Aromen und Zutaten auf. Enrique Olveras Ziel ist es, «stets die perfekte Balance zwischen einer sauren Geschmacksnote für die nötige Frische und einer gut dosierten würzigen Komponente für ein kräftiges Aroma zu kreieren».
Er bereitete mit seiner Crew unter Einbezug traditioneller und moderner Zubereitungsmethoden im Grand Hotel Kronenhof in Pontresina unter anderem den Cobia al Pastor – einen mit dem Karpfen verwandten Fisch – mit Ananaspüree und Koriander zu. Durch das Braten im Schweinefett brachte er den derzeit so gefragten Umami-Geschmack stark hervor. Das Spiel mit Schärfe und Säure liegt dem Mexikaner. Weil er findet, dass diese beiden Geschmäcke das Essen «unterhaltsam» machen, setzt er sie sparsam, aber doch gekonnt ein. Selbst das Dessert mit Rüben-Flan und Olivenöl dominiert nicht die Süsse, sondern die Säure der Kaffernlimette.
Es hätte auch der Geschmack von Wurmsalz dominieren können. In St. Moritz nicht verwendet, sonst aber ganz selbstverständlich setzt der Koch in seiner Küche Insekten ein. Auch Ameisen haben seinen Stil sehr stark verändert: «Erst nachdem ich die Hormigas Chicatanas gekostet hatte, habe ich richtig begriffen, welchen erlesenen Reichtum Mexiko kulinarisch zu bieten hat.» Sie schmecken einzigartig, nach einer Mischung aus getrocknetem Fleisch und Kaffee. Diese gemahlenen Ameisen verwendet er als Gewürz, etwa für Polenta oder Mayonnaise. Ameiseneier verwenden die Mexikaner wie die Russen Kaviar. Doch die wichtigste Zutat der mexikanischen Küche sei eine gute Tortilla: «Wer eine gute Tortilla macht, der hat 90 Prozent seiner Arbeit verstanden.» Seine werden jeweils frisch aus einer alten Maissorte mit etwas Paste aus Peperoncini und Tomaten hergestellt. Nach einem weiteren Trend in den Staaten füllt sie der Gast selbst und isst sie von Hand. Bei Enrique Olvera mit zartem Short Rib, Frühlingszwiebeln, Cipollini und Avocado.
Der Koch ist sicher, dass die neue, mexikanische Küche auch in die Schweiz kommen wird. Im Restaurant Besame Mucho in Mailand werde sie bereits geboten. Er rät Köchen als Inspirationsquelle dort zu essen, wenn ihnen Mexiko zu weit weg ist. Oder empfiehlt ihnen mit einem Augenzwinkern sein Kochbuch «Mexico from the Inside Out», erschienen bei Phaidon, «The Tacopedia» vom selben Verlag oder Diana Kennedys Kochbücher, die bei Amazon er-hältlich sind.
Einige der besten Chefs arbeiten bereits mit veganen Rezepten und integrieren sie in ihre Menüs. In diese Richtung wird sich die vegane Bewegung in der gehobenen Gastronomie weiterentwickeln, sind sich die Organisatoren des Festivals sicher. Mit seinen mediterran inspirierten Gerichten ist es Tal Ronnen gelungen, Veganer, Vegetarier und Alles-Geniesser für die vegane Küche auf hohem Niveau im Partnerhotel Badrutt’s Palace zu begeistern. «Die meisten Gäste bringen meine Küche nicht bewusst mit den rein pflanzlichen Zutaten in Verbindung», so der Chef. Tal Ronnen vom Restaurant Crossroads in Los Angeles, zählt zu den Vorreitern der veganen Küche.
(Sarah Sidler)
Zehn Gastköche stellten die Vielfalt der nordamerikanischen Küche Anfang Monat im Engadin unter Beweis. In der Festivalwoche begeisterten sie rund 4300 Gäste an über 40 Genussevents. Für positive Botschaften aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten sorgten Daniel Humm, James Kent, Ron Silver, Tal Ronnen, Dean Fearing, Kim Canteenwalla, Lee Wolen. «Die kreativen Ideen und kulinarischen Konzepte der Gastköche befruchten unsere eigenen neuen Kreationen», sagt Fabrizio Zanetti, Küchenchef des Partnerhotels Suvretta House. Das nächste St. Moritz Gourmet Festival findet vom 29. Januar bis 2. Februar 2018 statt. «Es wird im Zeichen des 25-jährigen Jubiläums stehen und entsprechende Genussüberraschungen mit spannenden Gastköchen bieten», so Reto Mathis, Präsident der Festival-Event-Organisation.
... ist eine Kombination aus Aquakultur und Hydroponic (Pflanzenanbau ohne Erde) und verfügt neben dem geschlossenen Wasserkreislauf über einen geschlossenen Nährstoffkreislauf. Dabei wird das Abwasser aus der Fischzucht in Pflanzbeete geleitet und dient als Nährstoffquelle für Nutzpflanzen wie Tomaten oder Basilikum. Sie stehen in einem anorganischen Pflanzensubstrat wie Kies oder Tongranulat. Pflanzen und Substrat filtern das Wasser so weit, dass es ohne weitere Behandlung ins Fischbecken zurückgeführt werden kann.