Die Wichtigkeit von Tripadvisor & Co. steigt immer weiter, das Misstrauen diesen Plattformen gegenüber auch. Gastronomen reagieren unterschiedlich auf kritische Einträge.
Der Ärger in der Gastroszene ist gross. Die Branche steht nach dem 25. April in einem schlechten Licht da. Quelle des Aufruhrs ist der SRF-Bericht in der <link https: www.srf.ch sendungen kassensturz-espresso anleitung-zum-tricksen-bewertungs-bschiss-bei-tripadvisor>Kassensturz-Sendung vom selben Tag. Darin wird die Remimag Gastronomie AG, die 16 Betriebe – mehrheitlich in der Innerschweiz – führt, als Bewertungsschwindlerin entlarvt. Ein internes Dokument, das «Kassensturz» zugespielt wurde, fordert die Geschäftsführer der Betriebe auf, je zehn Personen aus deren Umfeld dazu zu bewegen, Bewertungen auf Tripadvisor abzugeben. Aus Sicht des Bewertungsportals ist das Betrug. Remimag-Geschäftsleiter Bastian Eltschinger sieht das anders: «Beschiss ist das nicht. Die Bewertungen stimmen ja.» Eine wenig überzeugende Argumentation, mit der er der Glaubwürdigkeit des Unternehmens keinen Gefallen tut.
Weitaus dramatischer aber ist seine anschliessende Aussage: «Jeder Gastronom, der das nicht tut, ist selbst schuld. Und ich behaupte, dass es die meisten tun.» Ein Bärendienst, eine harte Vorverurteilung der gesamten Branche. In einer Sendung, die durchschnittlich von 463 000 Zuschauern gesehen wird.
Wie sieht die Wahrheit aus? Wie gehen Gastronomen mit Tripadvisor und Co. um? Eine Branche voller Schwindler ? Wie fest beschäftigen sich Unternehmer mit den Chancen und Gefahren der Online-Plattformen? Was unternimmt Tripadvisor gegen Gastronomen, die ihr Ranking unlauter zu verbessern suchen? Die Hotellerie Gastronomie Zeitung hat sich umgehört und den Puls der Gastro-Gemeinde gefühlt.
Das Branchen-Netzwerk Chef-Sache lud vergangene Woche zum Talk. Unter dem Titel «Kunden-Feedbacks: Bewertung und Verwertung» diskutierten Gastrofachleute und Vertreter aus der Zuliefererindustrie die Wichtigkeit und Glaubwürdigkeit von Online-Plattformen wie Tripadvisor. Wie authentisch erscheint denn ein Gastrobetrieb mit durchwegs Fünfsterne-Bewertung?
Die Runde war sich einig: Sehr oft ist es der unzufriedene Gast, der nach seinem Besuch einen Kommentar auf einem der bekannten Portale hinterlässt. Nicht der, der zufrieden nach Hause geht. Dany Kunz, Besitzer des Ace Cafés in Rothenburg, erzählt etwa: «Ein Kunde kam mit dem eigenen Getränk ins Café und bestellte nichts. Wir forderten ihn auf zu gehen. Sofort hinterliess er fürchterliche Bewertungen auf allen Kanälen.» Kunz reagierte einfallsreich: Er postete die Bewertung auf Facebook und erreichte 200 000 Menschen, die die Meinung des Gastes nicht teilten. Damit hat er cool und genial zurückgeschlagen.
Alex Flach, PR-Verantwortlicher diverser Nachtclubs in Zürich, Basel und Luzern, kennt das Problem der unfairen, negativen Bewertungen ebenso: «Wenn ich eine Männergruppe mit zwei Promille vor dem Club abweise, schiesst sie sofort los und schreibt negative Bewertungen, dabei war sie noch nicht mal drin.»
Flach stört sich daran, dass sich im Zeitalter der Selbstdarstellung in den sozialen Medien jeder für einen Gastrokritiker halte. «Früher waren die Kritiker ausgebildete Gastroleute. Heute hält sich jeder für einen», sagt Alex Flach. «Die Gastronomie muss nicht alles schlucken. Wir sollten auch mal zurückschiessen», erzählt er weiter.
Der Zürcher Gastronom Michel Péclard geht mit Tripadvisor-Reklamationen ganz anders um. «Ich habe all meinen Geschäftsführern verboten, auf Einträge zu reagieren. Wir ignorieren sie gänzlich. Ich halte nichts von diesen Portalen. Da schreiben sich doch eh nur deprimierte Leute ihren Frust von der Seele.
Sein «Fischers Fritz», eine Seebeiz in Zürich-Wollishofen, im Sommer eines der beliebtesten Restaurants der Stadt, ist gerade mal mit dreieinhalb von fünf Punkten bewertet und belegt in Zürich Platz 530 von 1617 gelisteten Betrieben. Ähnlich ergeht es seinem «Rooftop», das nicht nur von seinem atemberaubenden Blick vom Dach auf die Bahnhofstrasse lebt, sondern auch von feinen Drinks und Häppchen. Mit ebenfalls dreieinhalb Punkten belegt es Rang 495. Gesegnet ist eine Stadt, die 494 bessere Gastro-betriebe als das «Rooftop» ihr Eigen nennen darf...
Auch wenn die Aussage von Remimag-Geschäftsleiter Bastian Eltschinger der Branche kein gutes Image verleiht, pflichtet Péclard ihm bei. «Man schaue sich doch nur mal das Ranking an. Da wird ganz klar, dass zahlreiche Betriebe Bewertungen kaufen oder künstlich erwirken. Ebenso klar ist, dass keiner öffentlich dazu stehen wird.»
Dass die weitgehend unbekannte Pizzeria La Fonte und das ungeläufige indische Restaurant Tamarind Hill die beiden Spitzenplätze in Zürich belegen, hinterlässt zumindest Fragezeichen hinsichtlich des Sinnes eines Rankings. «Nicht jede Bewertung wird bei Tripadvisor gleich hoch gewichtet, so viel wissen wir», erklärt Marketing- und E-Commerce-Experte Malte Polzin. Weshalb ein Betrieb im Ranking vor dem anderen liegt, sei nicht durchschaubar: Jener mit ehrlicheren Bewertungen? Jener mit positiveren? Ein nicht nachvollziehbarer Algorithmus.
Polzin: «Ich kenne ein Lokal in Frankfurt, das von einer Woche auf die andere bei Tripadvisor um 37 Plätze nach unten rutschte.» Tripadvisor habe sich auf Anfrage bedeckt gehalten. «Sie erklärten die Abwertung damit, dass viele Bewertungen von derselben IP-Adresse aus abgegeben worden waren. Der Betreiber hatte jedoch freies WLAN für alle und extra Flyer ausgelegt, seinen Betrieb doch bitte auf Tripadvisor zu bewerten. Was viele Gäste noch während des Besuchs im Lokal taten. Das stufte die Bewertungsplattform als Betrug ein.»
Die Gefahr, vor lauter Jagd nach Punkten und Sternen den Fokus aufs Wesentliche zu verlieren, scheint gross. Der Tenor bei «Chef-Sache»: Der Gastronom soll sich darauf konzentrieren, täglich Bestleistungen abzurufen.
Oder anders gesagt: lieber einmal besser bewirten – als einmal besser bewerten.
(Anna Shemyakova und Benny Epstein)
Verstösst man gegen faire Geschäftspraktiken sowie Treu und Glauben im Geschäftsverkehr, kann ein Strafantrag gestellt werden. Falsche Bewertungen würden Verstösse gegen das Bundesgesetz über den unlauteren Wettbewerb beinhalten. Wer vorsätzlich unlauteren Wettbewerb begeht, wird auf Antrag zu einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe verurteilt (Art. 33 UWG), so die Fachmeinung von Simon Kopp, dem Kommunikationsverantwortlichen der Staatsanwaltschaft im Kanton Luzern.
Das unlautere Vorgehen der Remimag AG hatte Folgen: Betriebe wie das Zürcher Kunsthausrestaurant, das «August» in Wolhusen/LU, das «Brandenberg» in Zug und das Luzerner «Centro» sind mit einem roten Balken versehen. Darin heisst es warnend: «Tripadvisor liegen hinreichende Gründe zur Annahme vor, dass Einzelpersonen oder Unternehmen, die mit diesem Unternehmen in Verbindung stehen beziehungsweise ein Eigeninteresse an diesem Unternehmen haben, den Versuch unternommen haben, Bewertungen von Reisenden und/oder den Popularitätsindex für dieses Unternehmen zu manipulieren. Bitte berücksichtigen Sie dies bei Ihrer Reiseplanung.»
Wie das Bewertungsportal auf Anfrage mitteilt, wird der Kampf gegen unechte Bewertungen vehement geführt. Unternehmenssprecherin Pia Schratzenstaller: «Wir haben nach dem Hinweis über mögliche Betrugsfälle bei Hotels und Restaurants der Remimag-Gruppe eine Untersuchung gestartet. Bewertungen zu mehreren Betrieben verstossen gegen unsere Richtlinien. Wir haben Massnahmen ergriffen, um die Integrität unserer Seite zu schützen.» Das umfasse unter anderem die Entfernung einer Reihe von Bewertungen. Ausserdem wurde eine schriftliche Verwarnung an die Remimag-Gruppe sowie an die Manager der betroffenen Betriebe geschickt und in einigen Fällen wurden Sanktionen ergriffen. «Bei Tripadvisor gehen wir vehement gegen mögliche Betrugsfälle vor und sind entschieden gegen jegliche Versuche, betrügerische oder verfälschte Bewertungen zu veröffentlichen.»
Wie kann es dennoch sein, dass unbekannte Restaurants wie in Zürich das «La Fonte» oder das «Tamarind Hill» die Spitzenplätze belegen? «Tripadvisor-Bewertungen und -Fotos basieren auf den Erfahrungen der Reisenden und Einheimischen und sind nicht von einer professionellen Restaurant-Jury analysiert und online gestellt worden», erklärt Schratzenstaller. «So kann es vorkommen, dass auch mal kleinere oder weniger bekannte Unternehmen, die einen guten Service am Gast leisten, auf den vordersten Plätzen rangieren.»
Fühlt sich ein Gastronom unfair bewertet, bietet Tripadvisor Support auf der Website. Sehr ernst genommen werden Fälle, in denen Gäste einen Betrieb bedrohen oder erpressen. «Falls sich ein Eigentümer einer solchen Tatsache ausgesetzt fühlt, bitten wir, uns dieses sofort über unsere Tools mitzuteilen.»
Schratzenstaller legt Gastgebern zudem die Antwortfunktion ans Herz. «Eine passende Antwort auf einen negativen Kommentar trägt bei 85 Prozent der Gäste dazu bei, den Eindruck vom kritisierten Gastronomiebetrieb zu verbessern.»