Wie ihr Käseteller auf der Abendkarte aussehen soll, wissen die meisten Gastgeber genau. Beim Frühstück und Brunch wird das Milchprodukt aber vernachlässigt. Hauptsache günstig. Eigentlich schade.
Zugegeben: Ich bin leicht traumatisiert. Es ist gewiss schon sechs, sieben Jahre her, da bestellte ich eines Morgens in einem beliebten Café im Zürcher Niederdorf ein kleines Zmorge-Plättli. Brot, Marmelade, Käse. Ich kann mich nur noch an letztere Komponente erinnern. Scheibenkäse gab es. Und als wäre das nicht schon der Strafe genug, wurden die Quadrate mit einem Orangenschnitz dekoriert. Was zum Teufel hat eine Orange auf einem Käse verloren? Weshalb braucht Käse überhaupt eine Dekoration?
Schön wärs gewesen, hätte sich die südländische Zitrusfrucht aufs Schmücken beschränkt. Stattdessen liess sie es sich nicht nehmen, innert weniger Minuten den Käse mit ihrem Aroma und ihrer Säure zu beeinflussen. Das reinste Geschmacks-Fiasko – Schwachsinn, völliger Käse!
Dieses prägende, haarsträubende Käse-Erlebnis ist kein Einzelfall. Allzu oft grüssen auf Frühstückstellern und Brunchbuffets biedere, austauschbare, oft gar gescheibelte Exemplare des Milchprodukts, für das die Schweiz doch eigentlich in aller Welt bekannt ist. «Gerade im Bereich Frühstück wird dem Käse oft zu wenig Beachtung geschenkt», findet Lukas Liebendörfer. Der Berner arbeitet seit bald drei Jahren für den Käse- und Fleischspezialisten Jumi. «Während viele Betriebe auf der Abendkarte eine gut kuratierte Käse-Auswahl anbieten, müssen die Gäste am Morgen mit unbefriedigender Massenware vorliebnehmen.»
Lukas Liebendörfer schlendert durch den Jumi-Käsekeller in Vechigen, einer Gemeinde rund zehn Kilometer östlich von Bern. Hie und da hält «Lüku» inne, schwärmt von einem der über 60 Produkte, die hier hergestellt werden, oder erzählt eine Geschichte, die er mit einem Käse verbindet. Dann nimmt er einen Laib in die Hände: «Hier, der zum Beispiel, das ‹Aarewasser›. Ein halbharter, crèmiger Rahmkäse mit viel Charakter. Leicht würzig, aber frisch. Er ist zurzeit einer meiner Lieblingskäse. Unter anderem beim Frühstück oder Brunch macht er eine sehr gute Falle.»
Wie muss denn ein Käse überhaupt sein, damit er sich fürs Morgenmahl eignet? Meist eher jung und mild, erklärt Liebendörfer. «Man stelle sich vor: Du kommst gerade aus dem Bett, hast dir die Zähne geputzt. Der Orangensaft schmeckt noch nicht so recht. Wer hat dann schon Lust auf einen Blauschimmelkäse? Da will man doch erst mal gemütlich starten.» Schliesslich sind Nase und Gaumen am Morgen noch frisch und nehmen die Aromen viel stärker auf als am Abend. «Deshalb sollte der Käse noch nicht so intensiv sein.»
Gerne darf er halbhart oder sogar weich sein. Liebendörfer empfiehlt, nicht nur von Blauschimmel-, sondern auch von Rotschmierkäse morgens abzusehen. «Die kämen bei mir nicht auf den Frühstückstisch.» Weissschimmelkäse hingegen sei eine gute Wahl. Es müsse auch nicht immer beim Erzeugnis aus Kuhmilch bleiben. «Oft höre ich Leute sagen: ‹Schafs- und Ziegenkäse mag ich nicht.› Doch Schafskäse schmeckt weit weniger animalisch als Ziegenkäse. Den würden viele mögen, die sich nicht recht trauen.»
Während am Abend der passende Wein zum Käse ausgesucht wird, mag es Liebendörfer mit dem Getränkepairing am Morgen unkompliziert. «Ganz ehrlich: Ich trinke Orangensaft oder heisse Schoggi zum Käse. Aber klar, da könnte man viel mehr herausholen, es gäbe sehr spannende Kombinationen. Fruchtsäfte passen oft gut, Tee auch. Sehr schön funktioniert das Pairing natürlich mit dem Glas Prosecco zum Brunch. Säurehaltige Getränke geben dem Frühstück die leichte Frische zurück, die der Käse eigentlich entzieht.»
Auch eine Stunde später, als Lukas Liebendörfer vom Käsekeller zum Milchbauern ins nahe Schlosswil gefahren ist, um ihm beim Melken zuzuschauen, lässt ihn die Frage nicht los: Warum wird der Frühstückskäse so stiefmütterlich behandelt? «Ich zweifle daran, dass die Gäste vieler Hotels wirklich Freude am Käse haben, der ihnen am Morgen serviert wird», hadert er. «Knuspriges Brot, hausgemachte Konfitüre, aber langweiliger Standardkäse – das passt doch einfach nicht.»
Führt ein Hotel Jumi-Käse auf der Abendkarte, so wird es früher oder später angefragt, ob es nicht auch welchen fürs Frühstück haben möchte. Die Reaktion laute meistens: «Nein, das ist uns zu teuer.» Dabei stolpert Jumi über sein eigenes Bein. Liebendörfer: «Der Käse vom Abendmenü ist tatsächlich für die meisten Betriebe zu teuer, um ihn auch am Morgen anzubieten. Aber das sind ja die Spezialitäten. Viele wissen leider nicht, dass wir auch Produkte im Sortiment haben, die günstiger sind. Sie sind einfacher, aber immer noch hochklassig. Genau das Richtige fürs Frühstück.»
Sind also die falschen Preisvorstellungen der F&B-Manager und Köche schuld am biederen Käseangebot? Ein weiterer Grund dürfte sein, dass sich viele Gastronomen kaum bis gar nicht um das Produkt Käse scheren. Hauptsache, es hat Käse im Angebot. Welchen? Egal. Schliesslich bucht ja kaum einer eine Übernachtung wegen der netten Käseauswahl am Morgen. Dennoch ist der Käse-Experte sicher: «Es würde sich lohnen, ein paar Gedanken übers Produkt zu machen. Käse ist nicht gleich Käse.»
Statt der fünf mässigen Produkte schlägt Liebendörfer lieber zwei charaktervolle Exemplare vor. Spannendes Aroma, schönes Mundgefühl, bestenfalls eingepackt in eine interessante Geschichte. Wie etwa jene vom «Aarewasser», das in der Käserei Eyweid aus Milch von zwei verschiedenen Tälern – dem Emmental und dem Aaretal – hergestellt wird. Lange führten die Käser hitzige Debatten darüber, zu welchem Tal denn nun die Käserei gehöre. Ehe der Streit eskalierte, produzierte Käsemeister Urs das «Aarewasser». Die Aare schlängelt sich nämlich fast durch die ganze Schweiz. Auf ihrem Weg münden mehrere Flüsse in die Aare, darunter auch die Emme. Das Aaregebiet erstreckt sich also über mehrere Regionen, womit auch die Käserei zum Aaregebiet gehört. Der Streit war gelöst und ein neuer Käse geboren.
Zu einer so schönen Anekdote passt Scheibenkäse doch einfach nicht.
(Benny Epstein)