Mediadaten Données Media Olympiade der Köche

Welcher Geschmack darf es denn sein?

Partnervermittlungen wie «Koch sucht Bauer» und neue Handwerks-Akademien stillen die Sehnsucht der Köche nach dem Ursprünglichen. In der Mission Raronautik können sie sogar neue Geschmäcker in alte Sorten züchten.

  • Und welcher Geschmack darf es für Sie sein? (Bilder Priska Ketterer)
  • Drei spannende Rüeblisorten: Deep Purple, Purple Haze und die alte Tessiner Sorte Gniff, die züchterisch weiterentwickelt wird und bei Pro Specie Rara im Angebot steht.
  • Bei Sativa in Rheinau wird Saatgut erhalten, vermehrt und für den Markt weiterentwickelt.
  • Tobias Zihlmann: Ein gelernter Koch, der 2015 sein eigenes Unternehmen Diversitas gründete. Er und die Stiftung Pro Specie Rara laden Köche ein, bei Sativa in Rheinau Produkte alter Sorten zu testen und zu verbessern.

Zurück zu den Wurzeln, zum Ursprünglichen und zur Region. Wer könnte den zugegebenermassen schon seit Jahren anhaltenden Gastronomie- und Foodtrend besser in Worte fassen als Johann Wolfgang von Goethe. Seine vor mehr als 200 Jahren formulierten Sätze «Warum in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah» beschreiben in vortrefflicher Weise den Wandel im Einkaufsverhalten. Adaptiert auf unsere Branche heisst das nichts anderes als: Verwende saisonales Obst und Gemüse, möglichst biologisch erzeugt und mit vollem Geschmack. Zur Freude des Gastes und der handwerklichen Produzenten. Nur ist das nicht immer ganz einfach. Denn der eine hat’s, der andere sucht’s. In Brandenburg bringt eine neue Vermarktungsplattform Erzeuger von landwirtschaftlichen Produkten mit Köchen und Hoteliers zusammen. Eingebunden sind auch der Grosshandel und die Logistikbranche. Angebot und Nachfrage sind für alle Teilnehmer transparent. Die Idee einer alternativen Schweizer Partnervermittlung auf Verkaufs- und Einkaufsebene hat vergangenes Jahr Dominik Flammer aufgegriffen. Der Schweizer Autor von «Das kulinarische Erbe der Alpen» veranstaltete im Herbst letzten Jahres in Zürich eine erste Produzenten-Arena unter dem Titel «Koch sucht Bauer». Eine zweite folgte Ende März nach dem Motto «Koch sucht Bäcker». Weitere Partnervermittlungen sollen folgen.

Dominik Flammer ist ein Pionier in Sachen Aufstöbern von Produzenten alter Sorten und Rassen. Ihm geht es um das Wiederentdecken und Bewahren fast vergessener Geschmäcker. Im Sommer 2018 plant er im ehemaligen Kapuzinerkloster Stans die Eröffnung eines Zentrums für regionale Kulinarik, das vor allem die Schätze an Nahrungsmitteln aus den Alpen bewahren und fördern soll. Noch einen Schritt weiter geht der Schweizer Kochverband. In enger Zusammenarbeit mit «Hexer» Stefan Wiesner entsteht in den Gebäuden des ehemaligen Ordens der Ingenbohler Schwestern in Heiligkreuz ein schweizerisches Kompetenzzentrum für Kochkunst und Kochwissenschaft. In der Stille des Entlebuchs, dort, wo sich sprichwörtlich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, wird künftig an der Lebensmittelproduktion der Zukunft geforscht und eine standort- und artgerechte Nahrungsherstellung gefördert.

Köche und Gastronomen für fast Vergessenes begeistern

Für die kulturhistorische und genetische Vielfalt von Pflanzen und Tieren setzt sich die Stiftung Pro Specie Rara ein. Und das bereits seit 1982. Die Nonprofit-Organisation mit Sitz in den idyllischen Münchensteiner Merian-Gärten bewahrt fast Verschwundenes vor dem Aussterben und verfügt unter anderem über eine gut gehütete Pflanzen-Samenbank. Bislang konzentrierte sich die Stiftung vor allem auf agronomische Aspekte eines Gemüses wie beispielsweise Anbau, Grösse und Optik. Dem Geschmack und vor allem dem Einsatz von alten Sorten in Gastronomieküchen wird seit zwei Jahren mehr Augenmerk geschenkt. Um Köche und Gastronomen für fast Vergessenes zu begeistern, lancierte die Stiftung letztes Jahr eine Mission namens Raronautik. 

Der Begriff spielt mit einer Analogie auf das Zeitalter der Entdeckungen. Köche sollen als sogenannte Raronauten neue Geschmackswelten erforschen, und das erst noch quasi vor der Haustüre. Frei nach Goethe: «Sieh, das Gute liegt so nah.» An der Spitze der Raronautik-Mission steht Tobias Zihlmann. Der 27-Jährige ist gelernter Koch und arbeitete unter anderem in angesagten Restaurants wie «Mesa» in Zürich und «Focus» in Vitznau. 2015 machte er sich selbstständig und gründet die Firma Diversitas, die sich nach den Worten Zihlmanns als Bindeglied und Vermittler zwischen Produzenten und Köchen sieht. Sich selbst bezeichnet er als genussaffin, als einen Menschen, der auf der Suche nach neuen Geschmäckern, Farben, Formen und Texturen ist. Wer das tue, so Tobias Zihlmann, stosse zwangsläufig auf rare Sorten und Arten.

 

«Es ist spannend, inspirierend und herausfordernd, alte Geschmäcker wieder zu entdecken.» -Tobias Zihlmann, Diversitas. 

 

«Sichten und verbessern» hiess das Motto von bislang zwei Raronautik-Missionen, die bei Sativa in Rheinau im Kanton Zürich stattfanden. Der Bio-Saatgutbetrieb ist seit Jahren Partner von Pro Specie Rara und verbessert im Auftrag der Stiftung alte Gemüsesorten züchterisch und berücksichtigt neu auch Bedürfnisse der Gastronomie. Welche aromatischen und geschmacklichen Eigenschaften hat die alte Tessiner Rüeblisorte Gniff? Welche werden von Köchen positiv wahrgenommen und welche sollen in Zukunft zusätzlich hineingezüchtet werden? Mit diesen Fragen beschäftigte sich eine erste Gruppe von Raronauten im Herbst vergangenen Jahres. Dabei verkosteten sie Gniff, eine Ur-Sorte mit weissem Kern und violettem Rand, roh, gedämpft und geröstet. Sie verglichen den Geschmack mit jenem der optisch ähnlichen Hybridsorten Purple Haze und Deep Purple sowie dem zweier Neukreuzungen. Zusätzlich wurden Gniff, die Hybridsorten und Neukreuzungen mit orangefarbenen Standardrüebli verglichen. Das Ergebnis war verblüffend: Die Süsse des herkömmlichen Rüeblis wurde von den Raronauten als doch eher platt und langweilig empfunden, hingegen das Würzige und die erdig-mineralischen Noten von Gniff als überaus spannend und interessant. «So muss für mich ein Rüebli schmecken, das ich frisch aus der Erde ziehe», sagte Tanja Büsser vom Restaurant Schäfli in Uznach im Anschluss an Mission eins. 

Im Hinblick auf Weiterzüchtungen äusserten die Raronauten, dass Gniff dennoch eine Spur Süsse ganz gut vertragen könnte. Ein Wunsch, den Sativa-Geschäftsführer Amadeus Zschunke gerne aufnahm, allerdings gab er zu bedenken, dass geschmackliche Veränderungen für die Sortenzüchtung nicht ganz einfach seien. Für die Weiterentwicklung der alten, ursprünglich aus dem deutschen Franken stammenden Sorte «Birnenförmige Zwiebel» sind Sativa-Geschäftsführer Amadeus Zschunke und sein Mitarbeiter und Zwiebelexperte Friedemann Ebner optimistisch. An der raren Sorte zeigt Coop Interesse. Doch noch bekunden Landwirte Mühe, die «Birnenförmige» anzubauen. Sie ist anfällig auf falschen Mehltau und nur bedingt lagerfähig. 

Tests mit der «Birnenförmigen Zwiebel»

Seit Jahren experimentiert Sativa nun mit der Zwiebel durch Einkreuzungen von Hybridsorten. Vor wenigen Wochen stellten sie anlässlich einer weiteren Raronautik-Mission ihre Züchtungsergebnisse vor. Und die konnten sich sehen lassen. Im Vergleich zu einer rundförmigen Hybridsorte schnitten die Neukreuzungen auf der Basis von «Birnenförmige Zwiebel» geschmacklich und aromatisch hervorragend ab. Ob roh, gedämpft oder gebraten – die neue Linie der alten Sorte erhielt von den Raronauten Bestnoten. «Süss, fruchtig, aromatisch, harmonisch-ausgewogen», lautete das einheitliche Urteil von Betriebsleiter Eugene Farmer vom Club Hangar 11 in Dübendorf, Alex Ofner, Koch im Restaurant Babu’s in Zürich, und Gastgeberin Tanja Büsser vom «Schäfli» in Uznach. Bio-Bauer Matthias Hollenstein aus Hombrechtikon ist von der Geschmacksvielfalt der «Birnenförmigen» derart begeistert, dass er eine der Neuzüchtungen sofort anbauen will.

Die Zwiebel und das Tessiner Rüebli Gniff sind erste Beispiele dafür, wie Pro Specie Rara und Sativa unter Mitwirkung von Köchen und Landwirten alte Sorten züchterisch weiterentwickeln, um sie fit für den Markt und die Gastronomie zu machen. Pflanzgut der verbesserten «Birnenförmigen» soll ab 2019 bei Sativa erhältlich sein. Für Köche mit grünem Daumen die Gelegenheit, im Gartenbeet mit einer kulinarischen Forschungsreise zu beginnen.

(Jörg Ruppelt)


Adresse:

Projekt Raronautik
Pro Specie Rara 
Mathias Bamert
Tel. 061 545 99 40 
mathias.bamert(at)prospecierara.ch