Ist man mit 50 schon zu alt?

Wer mit über 50 die Stelle verliert, hat es schwer, in der Arbeitswelt wieder Fuss zu fassen. Grund dafür sind Vorurteile in der Gesellschaft, aber vor allem ein Staat, der tatenlos bleibt.

  • Wenn über 50-Jährige im Arbeitsmarkt nicht mehr Fuss fassen können und in die Arbeitsarmut abrutschen, bricht Unternehmen eine lukrative Zielgruppe weg. (Unsplash)
  • Weiterbildungen wie zum Beispiel IT-Kurse können helfen, die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern.
  • Heidi Joos ist Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation Avenir 50 plus mit Sitz in Luzern.

Der Fachkräftemangel war schon vor der Pandemie ein leidiges Dauerthema. Trotzdem scheint es, als hätten Betriebe die Ernsthaftigkeit der Lage nicht erkannt. Das zumindest könnte man annehmen, wenn man Inserate sieht, in denen ganz gezielt Altersgrenzen gesetzt werden.

Das Restaurant Waid aus Zürich ist so eins. Der Betrieb setzte  in einigen Stelleninseraten, die er auf Facebook publizierte, eine Altersgrenze von 35 Jahren für Bewerbende. Als sich ein Kandidat via Facebook-Kommentar darüber ärgerte, wies der Verfasser des Posts auf Erfahrungswerte hin. Auf Nachfrage durch unsere Zeitung hiess es: «Wir setzen kein Alterslimit in unseren Stellenanzeigen, sondern hatten für diese offene Stelle eine Wunschvorstellung von einem Bewerber/einer Bewerberin.» Bei HR Maker, einer Personalberatungs- und -vermittlungsagentur aus Opfikon/ZH klingt es ähnlich. «Es gibt Betriebe, die klar sagen, wir sind ein junges Team, und wir wollen, dass das so bleibt. Aber dass jemand ausdrücklich sagt, ich will niemanden über 50, das hatten wir bisher noch nicht», sagt Inhaber André Frei. Mit Fällen von Altersdiskriminierung sei HR Maker derzeit kaum konfrontiert.

Der Altersarmut die Stirn bieten

Anders erlebt dies Yvonne Hürzeler-Läderach. Die 58-jährige Restaurantfachfrau aus dem Kanton Solothurn hatte kurz vor Ausbruch der Pandemie eine Teilzeitstelle im Service angetreten. Aufgrund der Pandemie wurde ihr gekündigt. Seither lässt sie nichts unversucht, um wieder eine Stelle zu finden. Wie viele Bewerbungen sie schon geschrieben hat, kann sie nicht sagen. Sie schreibt jeden Tag mehrere davon, ist auf diversen Stellenportalen angemeldet. «Wenn Betriebe überhaupt antworten, heisst es entweder, ich sei überqualifiziert oder die Betriebe behaupten, sie hätten keine offenen Stellen. Dabei sind die Stellen beim RAV gemeldet.»

Widrigkeiten, wie sie Yvonne Hürzeler-Läderach widerfahren, schlagen aufs Gemüt. «Ich frage mich oft, woher ich die Kraft dafür nehme. Nicht mehr lange und ich kriege von der Arbeitslosenkasse kein Geld mehr. Wie es dann weitergehen soll, weiss ich nicht», sagt sie. Aufgeben sei jedenfalls keine Option. Yvonne Hürzeler- Läderach ist eine Kämpferin.

André Frei von HR Maker rät Stellensuchenden über 50, die Bewerbung persönlich abzugeben und das direkte Gespräch zu suchen, um die Chancen auf eine Anstellung zu erhöhen. «Im Gastgewerbe sind die Leute grundsätzlich offener. Und der Arbeitgeber sieht gleich, ob jemand verkaufen kann, ob er freundlich ist.»

«Wir haben auf unserem Portal nicht mehr Leute über 50, die eine Stelle suchen, als vor der Pandemie.»
 

Menschen, die im Alter von über 50 ihren Job verlieren und während der Zeit beim RAV auch keine neue Stelle finden, sind irgendwann ausgesteuert. Das bedeutet: Sie erhalten keine Taggelder mehr. «Die einen müssen dann direkt zur Sozialhilfe, die anderen müssen ihr Vermögen für ihren Lebensunterhalt einsetzen», sagt Pierre Bayerdörfer, Präsident des Vereins Workfair 50 +.

Letztere seien oftmals solche, die gut qualifiziert seien, einen guten Job gehabt hätten und nun das Pech, ein Haus oder Geld auf der Seite zu haben. «Sie werden von den Ämtern allein gelassen», sagt Pierre Bayerdörfer. Mit seinem Verein Workfair 50 + möchte er Betroffenen helfen. «Jemand, der noch 30 Jahre lebt und ausgesteuert ist – das kann doch nicht sein», enerviert er sich.

2019 wollte er mit der Volksinitiative «Arbeit statt Armut» unter anderem erreichen, dass die Pensionskassenbeiträge auf allen Altersstufen gleich sind – dies ist im Gastgewerbe dank L-GAV ab dem 25. Lebensjahr bereits Usus.

Die Volksinitiative kam nicht zustande. Es fehlten Unterschriften und die BDP hatte fast zeitgleich unbemerkt eine Motion mit ähnlichem Ziel eingereicht. Diese wurde 2019 vom Nationalrat angenommen und ist seither bei der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit hängig.

Kommissionssekretär Boris Burri sagt: «Ich gehe zurzeit davon aus, dass diese Motion frühestens im ersten Quartal 2022 im Rahmen der BVG-Reform behandelt werden kann.»

Vereine springen in die Bresche

Aktiv geworden ist die Politik immerhin mit dem Bundesgesetz und der Verordnung über Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose, die seit dem 1. Juli 2021 in Kraft ist. Das hilft aber nur Menschen, die mindestens 60 Jahre alt sind und diverse weitere Voraussetzungen erfüllen. Dazu gehören etwa eine klar definierte Höhe des Verdienstes sowie die Höhe anrechenbarer Einnahmen. «Die Überbrückungsleistung ist nichts, wozu man Juhee schreien würde. Es ist ein Tropfen auf dem heissen Stein», sagt Bayerdörfer. Für den Präsidenten des Vereins Workfair 50 + ist unverständlich, warum der Staat nicht mehr tut, um die Situation zu entschärfen.

«Es braucht Unterstützung von Seiten der Wirtschaft. Sie steht am Anfang des Prozesses.»
 

Zum Glück springen private Vereine und Verbände in die Bresche. Der Verband Avenir 50 plus Schweiz lancierte am 1. September 2021 im Verbund mit den Geschäftsstellen der verschiedenen Kantone Petitionen für kantonale Brückenleistungen. Damit soll künftig allen Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, mit 60 der Gang aufs Sozialamt erspart werden.

Pierre Bayerdörfer verfolgt mit seinem Verein einen anderen Ansatz. Er möchte mit Workspace50+ ein soziales Projekt auf die Beine stellen. «Wir befinden uns im Aufbau. Gönner, die uns unterstützen möchten, dürfen gern spenden. Leute, die Lust darauf haben mitzuwirken, können sich gerne direkt bei unserem Verein melden.»

(Désirée Klarer)


Verbände und Organisationen

Workspace 50 +
Das Sozialprojekt Workspace 50 + soll ein Brückenangebot für Ausgesteuerte werden und ihnen die Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt ermöglichen. Ende 2021 möchte Präsident Pierre Bayerdörfer mit dem Sozialprojekt im Textilbereich starten.

Workfair
Der Verein Workfair 50 + wurde am 1. März 2016 in Basel gegründet. Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt, möglichst viele Menschen, die im Alter von über 50 Jahren ihre Stelle verlieren, wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu reintegrieren. Darüber hinaus möchte der Verein unter anderem die Aussteuerungsphase der Betroffenen, also den persönlichen Vermögensverzehr minimieren und Betroffenen den Gang zur Sozialhilfe ersparen. Er bietet kostenlose Beratung für Betroffene an.

Save50plus Schweiz ist der Schweizerische Arbeitnehmerverband 50plus. Er verbindet soziales, altersneutrales, Engagement mit unternehmerischer Innovation.

50plus.ch
Auf der Website 50plus.ch finden sich Informationen und Angebote für die Generation 50plus.

Unter selbsthilfe.ch sind verschiedene Selbsthilfegruppen für über 50-Jährige aufgeführt.

www.143.ch
Die Dargebotene Hand ist ein Zusammenschluss von zwölf lokal und regional verankerten, unabhängigen Organisationen unter einem gesamtschweizerischen Dachverband. Die Dargebotene Hand bietet telefonische Seelsorge an.


Heidi Joos «Es braucht ein Umdenken in Politik und Wirtschaft.»

Heidi Joos, Inserate, in denen gezielt nach Leuten unter 50, in der Gastronomie oft gar unter 40 gesucht wird, sind keine Seltenheit. Gibt es kein Gesetz, das vor solcher Diskriminierung schützt?
Die Schweiz kennt zwar in der Bundesverfassung Artikel 8 Absatz 2 ein Diskriminierungsverbot, doch es lässt sich direkt nur auf das öffentliche Recht anwenden. Das Arbeitsrecht jedoch ist Teil des Privatrechts.

Was bedeutet das für Betroffene?
Nur wer in einem öffentlich-rechtlichen Betrieb arbeitet, kann klagen. Was in unserem Land fehlt, ist ein Schutz auf gesetzlicher Ebene analog jenem für Gleichberechtigung oder Behinderung, der auch bei der Privatwirtschaft anwendbar wäre. Der Bundesrat wurde von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schon mehrmals darauf hingewiesen, dass die Diskriminierung von Älteren auf dem Schweizer Arbeitsmarkt an der Tagesordnung ist. Trotzdem geht nichts in dieser Richtung.

Mit einem solchen Gesetz gäbe es sicher weniger Stellenanzeigen mit einer Altersgrenze.
Entscheidend ist die Kultur hinter den Anzeigen, und die ist immer noch sehr altersfeindlich.

Können Sie ein Beispiel aus unserer Branche nennen?
Als ich mich einst im Namen einer Kundin, die knapp über 50 war, beim Personalverantwortlichen eines grossen Hotels am Vierwaldstättersee auf ein Inserat hin meldete, meinte dieser: «Für solche Jobs stellen wir nur Personen bis 25 Jahre ein, am liebsten noch jünger. Die sind besser formbar.» Das Gros der Gäste dieses Hotels ist jedoch weit über 50 Jahre alt.

Formbarkeit ist also ein Grund, der von Arbeitgebern genannt wird. Was könnte es sonst noch sein, das Betriebe davon abhält, Ältere einzustellen? Der Pensionskassensatz kann es nicht sein. Der ist im Gast-gewerbe dank L-GAV ab dem 25. Altersjahr einheitlich.
Aus der kürzlich veröffentlichten AMOSA-Studie der Arbeitsmarktbehörden der Ostschweiz geht hervor, dass viele Arbeitgeber die Älteren zwar rühmen betreffend Motivation und Leistungsbereitschaft, gleichzeitig aber grosse Angst vor zu hohen Lohnforderungen haben. Das erklärt, warum diese befragten Arbeitgeber dann wenig Potenzial sehen, wenn es darum geht, die tüchtigen älteren Semester einzustellen.

Sind Angst und Bedenken der Arbeitgeber begründet?
Nein, in Tat und Wahrheit zeigen die Älteren eine hohe Bereitschaft in Hinblick auf Lohnanpassungen. Hier müsste vermehrt Sensibilisierungsarbeit seitens der Politik geleistet werden.

Warum geschieht da nichts? 
Unsere Gesellschaft ist sehr altersfeindlich unterwegs. Das Alter wird oft mit dem Tod gleichgesetzt. Der Tod selbst ist höchsttabuisiert. Verschiedene Studien belegen, dass diese Haltung auch bei Anstellungsgesprächen eine grosse Rolle spielt.

Wie könnte man die Haltung der Gesellschaft verändern?
Eine Veränderung dieser altersfeindlichen Kultur benötigt viele Jahre und muss mit grossen flächendeckenden Kampagnen begleitet werden. Das fordern wir schon lange vergeblich.

Also müssen die Arbeitgeber mit gutem Beispiel voran. Sind Ihnen solche Beispiele aus unserer Branche bekannt?
Wir sind unter anderem in Kontakt mit dem Besitzer eines Viersternehotels im Berner Oberland, der leider anonym bleiben möchte. Dieser Familienbetrieb arbeitet vorwiegend und zur höchsten Zufriedenheit der Gäste mit langjährigen Mitarbeitenden. Diese dürfen alle bis zum Pensionsalter bleiben. Besagter Familie ist es auch wichtig, der Gesellschaft etwas zurückzugeben. In der Zeit, als es weniger Gäste hatte, beherbergte sie jeweils eine ältere stellensuchende Person kostenlos. Solche Beispiele machen Mut und hoffentlich auch Schule.


Zur Person

Heidi Joos ist Geschäftsführerin der gemeinnützigen Organisation Avenir 50 plus mit Sitz in Luzern. Der Verband wurde 2012 von Betroffenen für Betroffene gegründet. Die Organi­sation bietet unter anderem kostenlose Beratungen und in verschiedenen Kantonen auch die 50 plus-Talks an, die Betroffenen Gelegenheit bieten, sich auszutauschen.