Die Digitalisierung soll niemals eine Bedrohung darstellen, sondern vielmehr als Chance wahrgenommen werden, seinen Betrieb für die Zukunft fit zu machen. Wer sich dem technischen und gesellschaftlichen Prozess der Digitalisierung öffnet, wird es leichter haben, am Markt zu bestehen.
Trotz der neuen Möglichkeiten, die sich durch die Digitalisierung eröffnen, tut sich die Beherbergungsbranche mit der Nutzung digitaler Lösungen schwer. Laut der Fallstudie «Digitalisierung in der Schweizer Hotellerie» von Hotelleriesuisse, der Fachhochschule Nordwestschweiz und der Fachhochschule (FH) Graubünden sehen weniger als die Hälfte der befragten Hoteliers ihren Betrieb als digital fortgeschritten.
Dabei verdeutlicht die Studie (siehe Link Seite 9) wie wichtig es ist, sich in der Hotellerie mit neuen Technologien und Produkten der Digitalisierung auseinanderzusetzen: sowohl im Bereich der internen Prozessoptimierung als auch im Bereich der digitalen Services sowie im Marketing und der Kommunikation. Die Vorteile seien laut Studie eine erhöhte Effizienz und verbesserte Kommunikation zwischen den Abteilungen, personalisierte Gästeerlebnisse, Umsatzsteigerung durch Marketing und Kommunikation sowie neue, innovative Geschäftsmodelle. Gemäss Norbert Hörburger vom Institut Tourismus & Freizeit (ITF) sei das Voranbringen der digitalen Transformation nicht nur Aufgabe einiger weniger, sondern müsse alle Mitarbeitenden in den Unternehmen involvieren. Von den Betriebsinhabern und Führungskräften würde deshalb Digital Leadership verlangt, um zu verstehen, wie mittels geeigneter digitaler Strategien die Klaviatur der einzelnen Aktions-Buttons gespielt werden könne. Laut Hörburger sei es ein Weg der kleinen Schritte, den man mit gut aus- und weitergebildeten Mitarbeitenden gehen müsse. Darauf zu warten, dass in einem Big Bang die digitale Transformation mithilfe eines Lösungsanbieters von aussen gelingt, sei ein Trugschluss.
Auch Gianluca Marongiu, Managing Partner bei Swiss Hospitality Solutions, ist überzeugt, dass die Branche durch die unaufhaltsame Digitalisierung tiefgreifend verändert wird. Wie im Interview mit dem Experten zu erfahren ist, nimmt der digitale Wandel in Hotellerie, Gastronomie und Tourismus weiter an Fahrt auf.
(Andrea Decker)
Gianluca Marongiu, wie wichtig ist es für die Beherbergungs- und Gastronomiebranche, für die digitale Zukunft gewappnet zu sein?
GianlucaMarongiu: Sehr wichtig. Was uns aktuell beschäftigt, ist die Suche nach wirksamen Antworten auf die Anforderungen einer zunehmend digitalen Umwelt. Dabei erachte ich die In-House-Digitalisierung als zentraler als die externe Digitalisierung. Durch die OTAs (Online Travel Agencies) wie Booking.com wurde die Reservationsabwicklung ausserhalb des Betriebs ja schon vorangetrieben, bevor die Hotels überhaupt so weit waren.
Welche Antworten haben Sie gefunden?
Es geht darum, eine digitale Identität zu definieren, die Teil der DNA aller Mitarbeitenden durch alle Hierarchiestufen wird. Dafür gibt es webbasierte Kommunikationstools, die eine unkomplizierte, interne Kommunikation gewährleisten. Informationen zu Geschäftsprozessen und Arbeitsabläufen werden damit transparent und benutzerfreundlich festgehalten und korrekt weitergegeben. Der Austausch zwischen den Abteilungen wird optimiert, was Zeit und Aufwand spart.
Machen digitalisierte Prozesse in jedem Fall Sinn?
Absolut. Die Vorteile digitaler Lösungsansätze liegen in der Ressourcenplanung der Mitarbeitenden, der Umsatzsteigerung, dem besseren Erreichen verschiedener Zielgruppen, der Optimierung der Auslastung sowie in der Verbesserung der Gästebeziehung. Egal, ob Kleinbetrieb oder Fünf-Sterne-
Hotel, ländlich oder urban: Jeder Hotelbetrieb ist dazu angehalten, seine Abläufe clever zu definieren, um am Markt nachhaltig Erfolg zu haben.
Nennen Sie uns ein Beispiel?
Ein Restaurant kann durch ein Online-Reservierungstool Zeit und Personal sparen, da die Mitarbeitenden nicht mehr ständig zum Telefon rennen müssen. Eine automatisierte Antwort könnte dann dem Anrufer mitteilen, dass man gerade in Gästekontakt ist und ihn bitten, doch online zu reservieren. Die Praxis zeigt, dass sich diese Investition in jedem Fall lohnt.
Fällt es fortschrittlichen Betrieben leichter, gute Mitarbeitende zu gewinnen?
Wenn ein Bewerber während des Vorstellungsgesprächs feststellt, dass er sich für ein Unternehmen bewirbt, das nicht mit der Zeit geht, springt er ab.
Was hat der Gast von der Digitalisierung?
Wir sprechen hier von der «Customer Journey». Damit bezeichnet man den Weg, den ein Gast über so genannte Touchpoints geht, bevor er eine Kaufentscheidung trifft. Dieser beginnt bei der Akquise potenzieller Gäste, bei der es darum geht, das Bewusstsein der Kunden für sein Angebot zu schärfen. In der «Consideration»-Phase prüft und vergleicht der Kunde via Hotel-Webseite oder OTAs das Angebot. Im besten Fall beginnt dann die Reservierungsphase, in der der Gast zeitnah kommunizieren möchte.
Über so genannte Chatbots?
(lacht). Damit wären Sie vielen Betrieben aktuell noch einen Schritt voraus. Chatbots stellen für viele eine grosse Herausforderung dar.
Weshalb?
Chatbots beantworten innerhalb von Sekunden automatisiert die Fragen von Gästen zum Hotel oder zur Buchung. Die Herausforderung bei Chatbots liegt darin, das Programm mit relevanten Informationen zu füttern, was ein zeitintensiver Prozess ist. Durch das regelmässige Zuführen von Informationen verbessert das Programm seine Antworten und lernt zudem, Antworten auf neue Fragen zu geben. Es wird noch etwas Zeit brauchen, bis die Chatbots ihren festen Platz in den Betrieben eingenommen haben.
Welche digitale Kommunikation empfehlen Sie?
Da die Ankunft des Gastes bereits schon vor dem Check-in beginnt, rate ich zu einer personalisierten Pre-Stay-Kommunikation. Diese E-Mails bieten ein grosses Potenzial für den Aufbau einer Kundenbeziehung und für zusätzlichen Umsatz, bevor der Gast überhaupt durch die Tür tritt.
Wie funktioniert das?
Es gibt Hotels, die ihren Gästen die Möglichkeit bieten, über eine hoteleigene App oder Landingpage ihren Aufenthalt zu personalisieren. So können beispielsweise Kissen und Bettdecke im Voraus gewählt, der Inhalt der Minibar personalisiert oder Zusatzleistungen wie Treatments, Honeymoon-Arrangements und anderes gebucht werden. Alles Dinge, die OTAs nur ungenügend bis gar nicht erfüllen. In dieser virtuellen Umgebung kann der Gast dann auch seine Kreditkarte sicher und geschützt hinterlegen, somit die Reservation bestätigen und die Buchung abschliessen.
Und was passiert, nachdem der Gast abgereist ist?
Dann beginnt die Loyalitätsphase, in der die Online-Reputation eines Hotels geformt wird. Eine Post Stay Mail soll dann unter anderem zufriedene Gäste zu guten Bewertungen bewegen. Dabei bieten die Bewertungsplattformen mehr als nur die Möglichkeit zur Meinungsäusserung oder Punktevergabe. Mit ihren integrierten Such- und Vergleichsmöglichkeiten und Dialogfunktionen dienen sie als wichtiges Instrument im Online-Marketing.
Läuft die digitalisierte Kommunikation hauptsächlich über cloudbasierte Lösungen?
Ja. Ein Messaging Tool beispielsweise wird aufgrund wachsender Benachrichtigungsmöglichkeiten immer wichtiger, weil darauf alle Kommunikationswege zusammenfinden: E-Mails, Whatsapp- und Facebook-Messenger-Nachrichten sowie Chat-Nachrichten via Website. Der Hotelier kann auf einem Dashboard alle Nachrichten zentralisiert bearbeiten, ohne aufgrund vieler Kanäle die Übersicht zu verlieren.
Wo lauern dabei die Gefahren?
Wenn Mitarbeitende nicht konsequent mit den vorhandenen digitalen Lösungen arbeiten. Sobald dezentral kommuniziert wird, passieren Fehler.
Wie viel muss man für cloudbasierte Lösungen investieren?
Nicht sehr viel. Man kauft ja nicht eine Software, sondern jährliche Lizenzen, die im Bereich von ein paar hundert Franken liegen.
Wie digital fortgeschritten sind andere Länder?
Amerika ist Vorreiter in Sachen Digitalisierung. Das Wort Check-out kennen sie nicht mal mehr. Sogar die Minibar ist digitalisiert. Entfernt ein Gast ein Getränk aus der Bar, wird dieses nach zehn Sekunden automatisch der hinterlegten Kreditkarte verbucht.
Sprechen wir von der Digitalisierung in der Gastronomie.
Sie kam später als in der Hotellerie, ging aber schneller voran. Die automatisierte Reservierungsmöglichkeit habe ich schon angeschnitten. Zusätzlich bringen Cloud-Kassenlösungen viele Vorteile mit sich: Die intuitive Bedienung ermöglicht schnelles Einarbeiten neuer Mitarbeiter. Zum Standard solcher Kassen gehören das Verwalten von Tischplänen, die Möglichkeit zur Menü-Anpassung, eine Restbestandsanzeige auf dem Artikelbutton und die praktische Abwicklung gemischter Zahlungen.
Und woran wird getüftelt?
Wir testen aktuell «Buttons am Tisch», mit denen der Gast den Service per Knopfdruck rufen kann. Das Personal trägt Uhren, die den Gästewunsch anzeigen. Im Herbst beispielsweise kann somit der Terrassen-Service angeboten werden, ohne dass ein Mitarbeitender explizit für den Outdoorbereich eingeteilt ist. Und der Angestellte erhält die Info, sobald der Gast etwas von ihm möchte, ohne ständig nach ihm zu schauen.
Inwiefern prägt die Digitalisierung das Destinations-Marketing?
Beim digitalen Marketing geht es darum, die richtigen Inhalte zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort an den Gast zu bringen – und das geschieht dort, wo sich der Mensch gerne aufhält: im Internet. Die Digitalisierung verändert dabei auch die Rolle eines Destinations-Marketings, das seine An-
gebote nicht mehr nur an Messen verkauft. Bei einigen mir bekannten Destinationen hat sich das Organigramm verändert. Das klassische Sales Team besteht heute aus «digitalen» Tourismus-Profis, die sich auch mit Google Adwords und SEO-Marketing (Search Engine Optimization) auskennen.
Sie sprechen auch hier wieder die «Customer Journey» an.
Ja, es geht darum, eine Customer Journey zu generieren, um den Gast mit jedem Click für sein Angebot zu gewinnen. Es reicht nicht mehr, nur über eine Webseite wahrgenommen zu werden, die verrät, dass es einen gibt.
Was also kann eine Destination tun, um mehr Gäste für sich zu begeistern?
Der potenzielle Gast soll möglichst ohne Umwege erfahren, welche Aktivitäten er in der Destination buchen kann. Je mehr regionale Leistungsträger sich auf der Destinations-Webseite anbieten, desto weitreichender und attraktiver ist das Angebot. Immer beliebter sind digitale Gästekarten in Form einer App, die der Gast kostenlos downloaden kann. Darauf findet er neben einem kostenlosen WLAN-Zugang auch Vergünstigungen, Tipps, Events und vieles mehr. Es gibt erste Regionen, die mit so genannten «Forecasts» der Overtourism-Problematik Gegensteuer geben. Die Prognose verrät, wann wie viele Menschen welche Attraktion besuchen und rät zu Alternativen.
(Interview Andrea Decker)
Der 33-jährige Basler Gianluca Marongiu ist Managing Partner, Senior Consultant und Lecturer bei der SHS Swiss Hospitality Solutions AG. Der «Nachwuchs-Milestone-Gewinner» befasst sich mit Revenue-Management-Strategien für Hotels und Destinationen und sucht nach Lösungsansätzen für
die Praxis. Er ist Dozent an der Schweizerischen Hotelfachschule Luzern SHL und unterrichtet an der SHS Academy, einer SHS-Tochterfirma.