Sich gesund und umweltbewusst ernähren – das wollen die meisten Gäste. Damit ihnen das leichter fällt, können Betriebe das so genannte Nudging einsetzen. Damit fördern sie eine bewusstere Ernährung, ohne das Angebot einzuschränken und die Gäste zu bevormunden.
Cordon bleu mit Pommes frites oder vielleicht doch lieber die hausgemachten Tagliatelle mit Gemüsesauce? Gesunde und umweltbewusste Ernährung liegt im Trend und wird bei den Gästen immer gefragter. Trotzdem greifen sie dann letztlich doch gerne zum Menü 1 – meist ein wenig gesunder Klassiker mit viel Fleisch und wenig Gemüse. Daran ist auch gar nichts auszusetzen, wenn es nicht gerade jeden Tag ist. Aber Fakt ist: Neben der Gesundheit ist die Ernährung in der Schweiz auch für rund einen Viertel der CO2-Emissionen verantwortlich. Immer mehr Betriebe setzen daher auf das so genannte Nudging, um den Gästen eine gesündere und nachhaltigere Ernährung im wahrsten Sinne des Wortes schmackhafter zu machen. Der Begriff kommt aus dem Englischen und heisst auf Deutsch soviel wie Anstossen, Anschubsen oder Stupsen.
«Beim Nudging bewegt man jemanden auf mehr oder weniger subtile Weise dazu, etwas Konkretes einmalig oder dauerhaft zu tun oder zu lassen», erklärt Ernährungswissenschaftlerin Melanie Loessner. Ganz wichtig dabei: Die Wahlfreiheit bleibt erhalten. Das Cordon bleu ist also immer noch im Angebot. Vielleicht aber nicht mehr jeden Tag und auch nicht mehr als Menü 1. «Beim Nudging geht es um motivierende Steuerung, nicht um Zwang und Verbot», so Melanie Loessner. Sie bietet Nudging-Workshops für die Gastronomie an und weiss, dass gerade Entscheidungen im Bereich Essen und Trinken oft unbewusst getroffen werden und daher für äussere Einflüsse sehr anfällig sind. Ist das Tagesmenü also eine Vegi-Variante anstelle des klassischen Schnipos, greifen viel mehr Menschen dazu. Wird die Vegi-Variante hingegen erst als Menü 4 auf der Karte aufgeführt, wird sie auch viel seltener bestellt.
Aber lassen wir uns tatsächlich so leicht beeinflussen? Offensichtlich schon. Zumindest deuten mehrere Studien und die Erfahrungen aus der Gastronomie darauf hin. «In einer Studie mit Konferenzteilnehmenden wurde beispielsweise lediglich durch das Präsentieren und Bewerben des Vegi-Menüs als Option 1 der Absatz von unter 10 Prozent auf fast 90 Prozent gesteigert», so Loessner. Das sind beeindruckende Zahlen – vor allem, wenn man bedenkt, wie einfach diese Massnahme umzusetzen ist.
Das Nudging wird besonders in der Gemeinschaftsgastronomie bereits eingesetzt. Gerade Betriebskantinen und die Gastronomie in Institutionen des Gesundheitswesens haben ein grosses Interesse, ihre Gäste so gesund wie möglich zu ernähren. So setzt zum Beispiel die SV Group seit vielen Jahren auf vegetarische und vegane Menüs (siehe Interview). Aber auch in der klassischen Restaurant-Gastronomie setzen immer mehr Betriebe auf Nachhaltigkeit und ein sanftes Anstupsen der Gäste. So setzt sich beispielsweise das Projekt Lunchidee für eine nachhaltige und gesunde Esskultur ein und berät Restaurants in diesem Bereich. Nicht nur die Zutaten stehen dabei im Fokus, sondern auch die Präsentation der Speisen. So bietet «Lunchidee» unter anderem Informationen zum Thema Gemüsevielfalt auf dem Tischset.
Das Nudging kommt vor allem der Umwelt und der Gesundheit der Gäste zugute. Finanzielle Gewinne stehen daher nicht im Fokus. Dennoch sieht Melanie Loessner Potenzial: «Dies vor allem bei der Vermeidung von Food Waste sowie bei der Ausrichtung auf saisonale und regionale Produkte.» Die Kosten für den Einsatz des Nudgings sind gering. Viele Massnahmen lassen sich relativ einfach und kostengünstig umsetzen.
«Eine attraktive Benennung oder Beschilderung eines Gerichts kostet nicht viel, hat aber bereits einen grossen Einfluss auf die Entscheidung der Gäste», sagt Melanie Loessner. «Grundsätzlich geht es darum, das Produkt attraktiver zu machen und dadurch in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken.» Der Betrieb hat dadurch den Vorteil, als gesundheits- und umweltbewusst positiv wahrgenommen zu werden. Und das, ohne dass die Gäste sich in irgendeiner Weise eingeschränkt oder bevormundet fühlen.
(Angela Hüppi)
2017 nahm die SV Group an einer Studie zum Thema Nudging teil. Dabei konnten bis zu 40 Prozent der CO2- Emissionen eingespart werden. Viele Massnahmen wurden beibehalten.
Dörte Bachmann, Sie sind die Nachhaltigkeitsverantwortliche der SV Group. Wieso hat man sich damals entschieden, am Nudging-Projekt teilzunehmen?
Die Förderung einer klimafreundlichen Gastronomie ist uns ein grosses Anliegen. Dabei war uns immer wichtig, wissenschaftlich basiert vorzugehen. Der CO2-Wettbewerb der Personalrestaurants der Stadt Zürich gab uns die Möglichkeit zu testen, wie wir gemeinsam mit unseren Gästen den CO2-Fussabdruck reduzieren können.
Welche Massnahmen wurden konkret umgesetzt?
Die Auswahl der Massnahmen wurde auf jeden Betrieb individuell abgestimmt. Wir haben zum Beispiel die Rezepte unter die Lupe genommen und optimiert. So wurden etwa weniger Rahm und Rindfleisch verwendet oder Hackfleisch durch Sojahack ersetzt. Als Anreiz für die Gäste wurden neue Teller gekauft und das umweltfreundliche Menüplus ansprechender präsentiert als die anderen Menüs.
Wussten die Gäste vom Wettbewerb?
Ja, das war eine unserer wichtigsten Massnahmen. Die Gäste waren Teil des Wettbewerbs und wussten, dass sie mit ihrer Menüwahl zum Gewinnen des Wettbewerbs beitragen konnten. Am Ende gab es sogar einen kleinen Preis für die Gäste des Restaurants, das den Wettbewerb gewonnen hatte.
Wie erfolgreich war das Projekt?
Wir sind sehr stolz darauf, dass die Cafeteria des Elektrizitätswerks der Stadt Zürich (EWZ)während des Wettbewerbs 40 Pro-zent ihrer CO2-Emissionen im Vergleich zur Basiserhebung reduzieren konnte. Sie war am Ende auch die Gewinnerin des Wettbewerbs.
Welche Massnahmen haben am meisten bewirkt?
Da mehrere Massnahmen gleichzeitig umgesetzt wurden, ist das schwierig zu sagen. Sicherlich war neben den erwähnten Massnahmen auch die Sensibilisierung unserer Mitarbeitenden und der Gäste ein wichtiger Faktor. Man hatte das Gefühl, dass sowohl die Mitarbeitenden als auch die Gäste während des Wettbewerbs an einem Strang zogen. Ich denke, dass nicht eine einzelne Massnahme besonders wirkungsvoll ist, sondern eine Kombination mehrerer Massnahmen letztlich zum besten Resultat führt.
Wie waren die Rückmeldungen der Gäste?
Unsere Gästeumfragen haben gezeigt, dass sich sowohl die Zufriedenheit der Gäste als auch die Verkaufszahlen während des Wettbewerbs nicht verändert haben.
War das nachhaltige Menü tatsächlich beliebter als Klassiker wie Schnipo und Cordon bleu?
An Tagen mit solch beliebten Klassikern lief das Menüplus etwas weniger gut als an anderen Tagen. Der Sinn des Nudgings liegt ja gerade darin, dass die Wahlfreiheit erhalten bleibt.
Welche Massnahmen wurden auch nach dem Projekt weitergeführt?
Die EWZ Cafeteria gehört auch heute noch zu den SV Restaurants mit den niedrigsten durchschnittlichen CO2-Emissionen. Der Wettbewerb hat nochmals dazu angeregt, den Gästen und unseren Mitarbeitenden mehr Transparenz über die Nachhaltigkeitsfaktoren in unseren Betrieben zu bieten. Auch die Nachhaltigkeitsschulung unserer Mitarbeitenden wird weiterhin durchgeführt und soll ausgebaut werden. Ausserdem arbeiten wir kontinuierlich an der Verbesserung unseres vegetarischen und veganen Angebots.
Kann ein Betrieb auch finanziell vom Nudging profitieren?
Der Betrieb kann mindestens insofern profitieren, als dass er seine Nachhaltigkeitsziele erreicht, ohne Verluste zu machen. Dies gilt auch für den Bereich Gesundheit. So trägt beispielsweise die Platzierung gesunder Getränke auf Augenhöhe zu einer gesünderen Ernährung bei, ohne weniger profitabel zu sein.
(Interview Angela Hüppi)
Wer gesunde und nachhaltige Optionen gezielt beleuchtet, hebt diese optisch von anderen Angeboten ab. Dafür eignen sich am besten LED- oder Halogenspots, da sie Punkt- und Kaltlicht verbinden. Damit betonen sie die Frische und Farben der Speisen optimal. So lassen sich gesunde Gerichte sowie Salat- und Gemüsetheken attraktiv hervor- und vom restlichen Angebot abheben. Spiegel können den Effekt zusätzlich steigern. Auch Musterteller sehen ausgeleuchtet ansprechender aus und unterstützen den Gast bei der Wahl beispielsweise eines vegetarischen Gerichts.
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Obst oder Gemüse ist langweilig? Nicht, wenn man es ansprechend und vielfältig präsentiert. So kann Bio-Obst an mehreren Orten und in unterschiedlicher Form angeboten werden – zum Beispiel als Obstsalat, Stückobst oder als To-Go-Variante im Becher.
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Gerichte sollten immer eindeutig benannt werden. Also nicht die Tagessuppe anpreisen, sondern ganz konkret die Bio-Spinatcremesuppe. So weiss der Gast genau, was und in welcher Qualität er es erhält.
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Wer sich für die gesunde Variante entscheidet, erhält einen Bonus. Beispielsweise einen Gratisapfel zum Vegi-Menü oder einen kostenlosen Nachschlag beim veganen Menü 1. Auf diese Anreize kann durch Aufsteller aufmerksam gemacht werden.
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Wir kennen es alle: In der Warteschlage vor der Kasse lockt die süsse oder salzige Versuchung in Form von Schokoriegeln, Gummibären und Chips. Die Warteschlange eignet sich besonders für Impulskäufe, also für Kleinigkeiten, die zusätzlich zum Menü für später oder zwischendurch gekauft werden. Wieso hier nicht prominent verschiedene Früchte, gesunde hausgemachte Getreideriegel oder Gemüsesticks mit frischem Bio-Dip platzieren? Auch im Snack- oder Getränkeautomaten können die gesünderen oder regionaleren Varianten auf Augenhöhe platziert werden anstatt der Produkte von internationalen Grossfirmen.
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Im Zentrum des Nudgings steht die attraktive Präsentation der Speisen. So kann zum Beispiel ein Warenkorb aufgestellt werden, der die Gemüsesorten zeigt, welche für das Tagesgericht verarbeitet wurden. Oder das Menü, welches besonders hervorgehoben werden soll, wird mit einem gut sichtbaren Musterteller im Eingangsbereich präsentiert. Auch eine ansprechende Dekoration kann die Wahl der Gäste lenken. So sorgen beispielsweise Töpfe mit frischen Kräutern für einen Blickfang bei der gesunden Speisenausgabe. An der Salatbar sorgen Toppings wie Kerne oder spezielle Gewürze und Öle für einen besonderen Anreiz und eine ansprechende Präsentation. Alternativ kann man gesunde und nachhaltige Lebensmittel auch speziell kennzeichnen, beispielsweise mit einem grünen Sticker. So fällt das Angebot sofort ins Auge.
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Viele Arbeitnehmende leben in einer schnelllebigen Welt. Für das Essen bleibt immer weniger Zeit. Daher nehmen viele Gäste das Essen mit an ihren Arbeitsplatz, gerade für einen Snack zwischendurch. Daher sollten auch gesunde Speisen in einer Variante zum Mitnehmen angeboten werden – ansonsten greift der Gast der Einfachheit halber schnell zum Schokoriegel. Schnell umsetzbar sind zum Beispiel geschnittenes saisonales Obst oder Gemüse in Bechern, frisch gepresster Orangensaft oder Joghurt-Portionen mit frischem Obst.
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Wenn das Softgetränk günstiger ist als das Wasser, greifen die Gäste natürlich eher zu Ersterem. Der Preis ist zwar nicht in jedem Fall entscheidend, spielt aber dennoch eine wichtige Rolle. Statt teurem Markenwasser kann zum Beispiel das Hahnenwasser zu einem günstigen Preis oder gar kostenlos abgegeben werden. Möglich ist auch ein günstiges Angebot von Wasser in Krügen, die tischweise abgegeben werden können.
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Eine wichtige Rolle bei der attraktiven Präsentation von Speisen spielt das Geschirr. Es muss nicht das gesamte Geschirr ausgewechselt werden, aber gerade kleine Bio-Salate oder Obstteller können mit besonderem Geschirr hervorgehoben und attraktiver präsentiert werden. Auch die Portionen können durch das Geschirr beeinflusst werden. In einem kleineren Teller wirkt die Portion sofort grösser. Wem die kleinere Portion nicht ausreicht, kann sich kostenlos einen Nachschlag holen.
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Manchmal ist es ganz simpel: Wird kein Gemüse angeboten, kann es auch nicht bestellt werden. So kann zusätzlich zum Tiramisù als Dessert auch ein Früchtebecher auf der Karte stehen. Oder statt normaler Spaghetti gibt es auch mal Zucchetti-Nudeln.
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Einer der wichtigsten und gleichzeitig einfachsten Tipps im Bereich Nudging: Was zuerst kommt, wird am meisten gewählt. Wenn das Vegi-Menü erst an dritter Stelle aufgeführt wird, stehen die Chancen schlecht, dass sich viele Gäste dafür entscheiden. Ist das Vegi-Menü aber die Nummer eins, greifen sofort viel mehr Menschen dazu. Auch am Buffet kann das Gemüse zuerst präsentiert werden, so dass sich die Gäste damit die Teller füllen, bevor sie sich das Fleisch und die Stärkebeilage holen.
Im Spätsommer 2017 führte die Energieforschung Stadt Zürich das Nudging-Projekt gemeinsam mit sechs Personalrestaurants städtischer Betriebe durch. Während acht Wochen wollte man herausfinden, inwieweit es mithilfe von Nudging möglich ist, Kantinenbesucher zu einer Essweise anzuregen, deren CO2-Bilanz günstiger ausfällt. Das Projekt war ein voller Erfolg: Im Durchschnitt sank der CO2-Ausstoss in den Betrieben um 20 Prozent.
Mehr Informationen unter:
www.vitamintexte.ch/menu/nudging
www.sv-group.ch