Das «Josef» in Zürich und das «Walther» in Pontresina haben eines gemeinsam: Beide tragen die Handschrift der Innenarchitektin Virginia Maissen.
Virginia Maissen, der Schwerpunkt Ihrer Arbeit liegt auf der Gestaltung von öffentlichen Räumen wie Restaurants, Bars und Hotels. Was reizt Sie daran?
Virginia Maissen: Ob sich Menschen an einem Ort wohl fühlen oder nicht, entscheidet sich in einer Millisekunde. Nebst dem Interieur spielen auch der Ort und die Lichtverhältnisse eine wichtige Rolle. Es geht darum, wie sich all diese Dinge gegenseitig beeinflussen und ergänzen. Es ist diese Komplexität, die mich reizt, fasziniert und zudem den Wandel der Zeit in Hotellerie und Gastronomie widerspiegelt.
Inwiefern?
Es ist spannend zu sehen, wie durch die Räume geführt wird. Daran kann man erkennen, wie sich die Bedürfnisse der Menschen verändert haben. Die Individualisierung zum Beispiel spielt eine grosse Rolle: Immer mehr Hotels kommen weg von der Uniformierung.
Wodurch macht sich dies bemerkbar?
Beispielsweise in der Gestaltung von Hotellobbys: Früher waren dies häufig Räume mit den immer gleichen Stühlen und kleinen Tischchen, die steril und unmotiviert wirkten. Heute bemühen wir uns, lebendige Begegnungsorte zu gestalten, welche den Bedürfnissen der Gäste rund um die Uhr entgegenkommen. Wir kreieren eine Umgebung, welche die Leute dazu einlädt, sich aufzuhalten und auszutauschen.
Ein Gegentrend in Zeiten, in denen wir alle von unseren Smartphones absorbiert sind?
In gewisser Weise, ja. Teilen, zusammenkommen, das ist bei den «Digital Individuals» grossgeschrieben. Auszeiten und Begegnungen stehen wieder im Zentrum. Besonders jetzt, in Zeiten, in denen immer alles verfügbar sein und schnell gehen muss.
Merken Sie das auch in Ihrer täglichen Arbeit?
Es kommt schon mal vor, dass jemand ein Projekt innert weniger Monate durchführen möchte. In der Regel haben wir glücklicherweise genügend Zeit. Beim «Walther» in Pontresina beispielsweise waren es eineinhalb Jahre.
Was haben Sie dort verändert?
Wir haben für drei bis vier Millionen das Studio, den Eingangsbereich, die Réception, die Lobby, das Grand Restaurant sowie die Bar und die Smoker’s Lounge neu gestaltet. Später kamen noch die Zimmer und die Trattoria hinzu. Die Walthers haben sich dies zum 110-jährigen Jubiläum geleistet.
Inwiefern hat sich das Projekt für die Walthers ausgezahlt?
Es ist uns gelungen, das Hotel in die heutige Zeit zu begleiten und dabei den historischen Charakter des Hauses zu erhalten. Herr Walther bietet Führungen an, bei denen er die Verwandlung erzählerisch mit tollen Geschichten begleitet.
Wie sind Sie vorgegangen?
Wir haben Elemente aus der Jahrhundertwende aufwendig restauriert und wieder erlebbar gemacht. Einige der Elemente haben wir aus dem Tiefschlaf geholt und mit neuen Elementen wie selbst entworfenen Teppichen und diversen anderen eigenen Entwürfen ins Heute transformiert.
Wie stark sind Auftraggeber in den kreativen Prozess involviert?
Es ist wie ein Puzzle: Wenn man an einer Ecke zu stark interveniert, kann das ganze Konzept auseinanderfallen. Darum freuen sich mein Team und ich darüber, wenn man uns freie Hand lässt. Aber natürlich ist das bei jedem Auftraggeber anders. In privaten Haushalten beispielsweise wünschen sich die Auftraggeber meist eine engere Begleitung. In der Hotellerie wiederum geniessen wir meist grosses Vertrauen. Das schätzen wir natürlich sehr.
Wie wichtig ist der zwischenmenschliche Aspekt?
Bei unseren Projekten begibt man sich zusammen auf eine lange Reise, in der man sich mit der anderen Person austauschen muss. Es genügt nicht immer, einen ersten Kaffee zu trinken und sich ein wenig sympathisch zu sein. Aber ich glaube, das ist etwas, woran wir alle arbeiten: ein Feingefühl für das Gegenüber zu entwickeln.
Haben Sie für 2020 schon eine neue «Reise» in der Hotellerie geplant?
Aktuell sind wir dabei, Musterzimmer für ein Viersternehotel in Luzern zu entwerfen. Um welches Hotel es sich handelt, möchte ich allerdings noch nicht verraten.
(Interview Désirée Klarer)
Virginia Maissen war ursprünglich Lehrerin. Sie hat 15 Jahre als Moderedaktorin gearbeitet und gründete anschliessend mit einer Geschäftspartnerin die Kreativagentur Gustave, die sie zehn Jahre lang führte. 2016 entschied sie sich, den Fokus voll und ganz auf Innenarchitektur zu setzen. Sie lebt und arbeitet in Zürich.