Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände sind sich nicht immer einig und verhandeln oft hart. Dennoch sehen die Direktoren von Gastrosuisse, Hotelleriesuisse und der Hotel & Gastro Union vieles ähnlich.
Wie ist der Zusammenhalt zwischen den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden?
Daniel Borner: Wir haben während des Lockdowns eine grosse Solidarität in der Branche festgestellt. Allen Sozialpartnern ist bewusst, um was es geht; gerade unter den derzeitigen Bedingungen.
Urs Masshardt: Mein Fazit ist durchzogen. Nicht alle haben das Wohl der Branche bei ihrer politischen Arbeit gleichermassen im Blick. Partikularinteressen spielen oft eine zu grosse Rolle.
Claude Meier: Der Zusammenhalt ist gut. Es gelingt immer, gute Lösungen für die Branche zu erarbeiten. Ein Beispiel dafür ist das Resultat der Lohnverhandlungen 2020 bis 2022.
Was zeichnet für Sie eine gute Sozialpartnerschaft aus?
Borner: Wichtig erachte ich, dass es immer möglich sein muss, den Dialog zu pflegen Auch wenn die Positionen unterschiedlich sind.
Masshardt: Alle sollten das Ziel verfolgen, möglichst viele Betriebe zu haben, in denen Arbeitgebende und Arbeitnehmende mit Freude und materiell abgesichert gemeinsam Gäste verwöhnen.
Meier: Gute Sozialpartnerschaft ist geprägt vom Willen, die Branche voranzubringen und von einem grundlegenden Verständnis für die Anliegen und Aufgaben der Gegenseite. Natürlich wird hart verhandelt, schliesslich ist das Ziel, die Interessen der eigenen Mitglieder zu vertreten. Am Ende müssen jedoch für alle tragfähige und zukunftsgerichtete Lösungen auf dem Tisch liegen.
Welches sind die wichtigsten Errungenschaften dieser Sozialpartnerschaft?
Borner: Ich möchte vor allem das sehr gute Aus- und Weiterbildungsangebot nennen, welches grosszügig durch den Landes-Gesamtarbeitsvertrag L-GAV unterstützt wird.
Masshardt: Ein Erfolg sind die Berufsbildung und die Unterstützungsleistungen bei Aus- und Weiterbildungen durch Mittel des L-GAV. Ebenfalls attraktiv sind die in der Branche garantierten Minimallohn- und Arbeitsbedingungen. Leider spielt der Arbeitsmarkt nicht optimal. Die Mindestbedingungen sind deshalb oft die tatsächlichen Lohn- und Arbeitsbedingungen.
Meier: Neben der Förderung der Aus- und Weiterbildung ist eine weitere wichtige Errungenschaft, dass die Branche mit dem L-GAV ihre Arbeitsbedingungen selbst reguliert. Und dies in profunder Kenntnis ihrer spezifischen Eigenheiten und Bedürfnisse.
Welche noch offenen Themen beschäftigen die Sozialpartner derzeit?
Borner: Bis vor kurzem waren die Mindestlohnverhandlungen ein Brennpunkt. Aktuell will man mit gezielten Massnahmen das attraktive Aus- und Weiterbildungsangebot noch mehr an die Frau und den Mann bringen.
Masshardt: Der L-GAV muss stabilisiert werden. 85 Prozent der Arbeitnehmenden im Gastgewerbe sind nicht in einem Berufsverband organisiert und machen somit politisch nichts für ihren Beruf. Die Arbeitgeber dagegen sind zu über 80 Prozent organisiert. Bei dieser Kräfteverteilung findet der soziale Dialog nicht auf Augenhöhe statt.
Meier: Die Ausrichtung der Aus- und Weiterbildung ist ein Thema, das coronabedingt in den Hintergrund rückte und wieder intensiver angegangen werden muss.
Bei welchen Themen herrschen Diskrepanzen?
Borner: Stossend sind nach wie vor die Bestrebungen gewisser Gewerkschaften* hinsichtlich kantonaler und kommunaler Mindestlöhne. Hier wird von den Gewerkschaften eine nicht legitime Doppelstrategie geführt, mit der die sozialpartnerschaftlichen Vereinbarungen im L-GAV ausgehebelt werden sollen. Das ist nicht akzeptabel und gefährdet den Landes-Gesamtarbeitsvertrag.
Masshardt: Diskrepanzen gibt es immer wieder mal. Wichtig ist, dass Meinungsverschiedenheiten zu einem konstruktiven Dialog führen, der gute Lösungen bringt.
Meier: Die grössten Diskrepanzen gibt es jeweils bei Regulierungen, die Kosten auslösen. Man darf nicht ausser Acht lassen, dass es auch für gesunde, wettbewerbsfähige Betriebe herausfordernd ist, die immensen Kosten in einem Betrieb zu stemmen. Aufgrund der Corona-Krise wird dieses Thema stark in den Fokus rücken, weil viele Betriebe jetzt ums Überleben kämpfen.
Das Gastgewerbe steht mit Branchen in Konkurrenz, die unsere gut ausgebildeten Berufsleute abwerben. Was können die Sozialpartner tun, damit die Branche für Arbeitnehmende attraktiver wird?
Borner: Aus meiner Sicht müssen wieder mehr der Inhalt und der Sinn der Berufe im Vordergrund stehen. Wir dürfen uns nichts vormachen; gewisse Rahmenbedingungen der Branche werden wir nie ändern können. In den Berufen der Hotellerie und Gastronomie braucht es viel Leidenschaft, Empathie und Freude am Dienstleisten. Wir müssen gezielt Menschen ansprechen, die offen und bereit dazu sind.
Masshardt: Sozialpartner sind nichts anderes als organisierte Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Gemeinsam sorgen sie für die Attraktivität der Arbeitsplätze im Gastgewerbe. Solange dies auf der Arbeitnehmerseite 20 000 tun, aber 220 000 nicht, haben die Arbeitnehmer politisch wenig Handlungsmöglichkeit, die Branche attraktiver zu machen.
Meier: Die Aus- und Weiterbildung muss sich stärker am Markt orientieren, und es braucht vermehrt Anstrengungen, um Nachteile wie Abend- und Wochenendeinsätze auszugleichen. Hotelleriesuisse hat deshalb schon vor einiger Zeit das Projekt «Future Hospitality» ins Leben gerufen. Zudem müssen wir die Vorteile der Branche in den Fokus der Öffentlichkeit bringen. Das Image wird leider noch zu oft von einzelnen schwarzen Schafen geprägt.
Wie sähe es im Gastgewerbe ohne die Sozialpartnerschaft aus?
Borner: Es gibt Branchen, in denen die Arbeitgeber die Berufsbildung sehr gut auch völlig alleine lösen. Ich denke, im ersten Moment würden sich wohl viele Betriebe weiterhin an den bisherigen Regelungen orientieren.
Masshardt: Ohne Sozialpartnerschaft gäbe es keinen L-GAV mehr. Im Klartext: keine Mindestlöhne, Fünf-Tage-Woche, 13. Monatslohn, fünfte Ferienwoche, finanziell unterstützte Weiterbildung und vieles andere auch nicht.
Meier: Fiele der L-GAV weg, würde der Staat uns die Arbeitsbedingungen bis hin zu den Mindestlöhnen diktieren und uns kontrollieren. Wir würden das Heft aus der Hand geben und Hardlinern auf Arbeitnehmer sowie auf Arbeitgeberseite mehr Raum geben. Dies würde der Weiterentwicklung unserer Branche schaden. Zudem würden die subventionierten Aus- und Weiterbildungen dahinfallen, die zur Bekämpfung des strukturellen Fachkräftemangels beitragen.
(Interview Riccarda Frei)
*Anmerkung der Redaktion: Bei besagter Gewerkschaft handelt es sich um die Unia, nicht um die Hotel & Gastro Union. Letztere versteht sich als Berufsorganisation, nicht als Gewerkschaft.
www.gastrosuisse.ch
www.hotelleriesuisse.ch
www.hotelgastrounion.ch