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Wer glaubt an mein Projekt?

Idee ja, Geld nein – die Lösung heisst Crowdfunding. Die Finanzierungsart hat sich in der Schweizer Hotellerie und Gastronomie festgesetzt. Beim Tourismus geht die Entwicklung langsamer voran.

  • Wegweisend: Ohne erfolgreiches Crowdfunding hätte Winzer Stephan Herter seinen wahr gewordenen Traum vom eigenen Rebberg rasch wieder beerdigt. (ZVG)
  • Christian Bärtsch schaffte es, Menschen für sein Insekten-Kochbuch zu begeistern. (Piotr Metelski)
  • Fürs Baguette-Backen sammelte Seri Wada über 34 000 Franken. (ZVG)

I ch habe mir überlegt, den Karren an die Wand zu fahren und den Schlüssel zu drehen», erinnert sich Stephan Herter. Der Spätfrost im April 2016 verursachte grosse Schäden, so dass nur die halbe Ernte bleibt.

Weil der Weinfreak, der sich 2012 seinen Traum vom eigenen Rebberg am Winterthurer Taggenberg erfüllte, zu viel Spass an seiner Tätigkeit hat, entscheidet er sich, nicht aufzugeben. Er überlegt sich, auswärts nach Arbeit zu suchen, um das finanzielle Loch zu stopfen. Doch letztlich beschliesst Herter, selbst etwas mit Wein zu machen. «Fremde Trauben einzukaufen und damit weiterhin meinen typischen Wein zu keltern, kam für mich nicht in Frage. Dafür arbeitete ich zu lange im Burgund. Meine Lagenweine will ich mit meinen Trauben machen.»

Also fasst er eine neue Idee ins Auge: Mit eingekauften Trauben will er – in Andenken an die eisige Nacht – einen Wein namens «Väterchen Frost» machen. Ich fragte meine Partner, die Händler und Gastronomen, was sie davon hielten. Alle unterstützten mich.»

Nur wenn das angepeilte Ziel erreicht wird, erhält er das Geld

Um von drei Winzern aus dem Zürcher Weinland und von einem aus der Westschweiz Trauben einzukaufen, braucht Herter Geld. So wendet sich der Ostschweizer auf der Crowdfunding-Plattform 100-days.net per Videobotschaft an die Öffentlichkeit. Bei einem Crowdfunding zählt der Bittsteller auf die finanzielle Kraft der Masse. Er erzählt von seinem Problem, erklärt seinen Plan, bittet um Solidarität.

Wer den Winzer unterstützen will, ist ab einem Beitrag von 30 Franken dabei. Hundert Tage wird gesammelt, dann wird Bilanz gezogen: Nur wenn die von Herter angepeilte Summe von 20 000 Franken erreicht wird, erhält er die Beträge. Ansonsten bleibt das Geld bei den Unterstützern. Und Herters Kampagne ist tatsächlich äusserst erfolgreich: Letztlich kommen 32 475 Franken zusammen.

Bei den zugesprochenen Geldern handelt es sich nicht um klassische Spenden. Herter bietet je nach Höhe des Betrags eine Gegenleistung. Wer 30 Franken beisteuert, erhält eine Flasche «Väterchen Frost». Für 12 500 Franken kriegt man ein eigenes Barrique der Spezialabfüllung. «Die grösste einbezahlte Unterstützung betrug 1500 Franken», verrät Herter. «Dafür gab es einen Gruppenevent für sechs Personen mit Vorpremière und Degustation beider Weine bei einem Nachtessen auf unserem Weingut. Dazu eine Weinkellerbestückung von «Väterchen Frost» mit je zwölf roten und zwölf weissen Flaschen.»

Der Bartträger aus Hettlingen/ZH übersteht den Frost damit nicht nur. Der mutige Schritt führt gar zum nachhaltigen Erfolg: Händler und Restaurants sind von seinem aus der Not entstandenen Wein derart begeistert, so dass er diesen 2017 abermals produziert. «Er wird noch besser», verspricht der Winzer. «Die Geschichte hat sich toll entwickelt. Ohne die Unterstützung hätte ich im Juli 2017 kein Geld mehr gehabt.»

Reben, Baguettes, Insekten und eine Sauna: Erfolg dank Crowd

Auch andere Schweizer Projekte rund um die Gastronomie und die Hotellerie werden dank der Schwarmfinanzierung – wie sich das Crowdfunding auf Deutsch nennt – realisiert oder vor dem Aus gerettet. Das Seehotel Kastanienbaum begeistert die OnlineGemeinde auf funders.ch für den geplanten Rebberg unterhalb des Hotels. Anstelle der angepeilten 10 000 Franken kommen deren 23 000 zusammen. In drei Jahren soll der erste hauseigene Wein der weissen Rebsorte Solaris ausgeschenkt werden.

Seri Wada bittet die Crowd unter wemakeit.ch im vergangenen Jahr um 30 000 Franken. Er möchte die Produktion seines vielleicht besten Baguettes des Landes professionalisieren. «Ich stiess physisch und technisch an meine Grenzen», sagt Seri Wada. Er sammelt 34 000 Franken, mit denen er Backutensilien, einen Backofen, eine Teigausrollmaschine und ein Cargo-Bike kauft.

Auch Essento-Gründer Christian Bärtsch überzeugt mit seinem Insekten-Kochbuch und kriegt von 163 Unterstützern total 12 850 Franken zugesprochen. Das Maya Boutique Hotel in Nax/ VS, das komplett aus Strohballen gebaut wurde, will seinen Gästen eine skandinavische Sauna bauen. Die kostet 9500 Franken. Gesammelt werden 23 030 Franken.

Promotion auf allen Kanälen: Mail, Telefon, Social Media

Doch längst nicht jedes Sammelprojekt auf den verschiedenen Internet-Plattformen gelingt. Wie lautet das Erfolgsrezept? Winzer Stephan Herter: «Zuerst muss die Idee überzeugen. Dann muss ehrlich kommuniziert werden. Und letztlich gibt es nur eines: Vollgas während der gesamten Kampagne.» Es gelte, in den sozialen und klassischen Medien auf sich aufmerksam zu machen. Wichtig sei auch, dass die Belohnung für die Unterstützung attraktiv ist. «Sie soll Bezug zum Projekt haben.»

Christian Bärtsch, Autor eines Insekten-Kochbuchs, betont zudem die Wichtigkeit des eigenen Umfelds: «Das muss man für den ersten Anschub hinter sich haben.» Gleicher Meinung ist Baguette-Bäcker Seri Wada: «Zuerst habe ich eine Mail-, Adress- und Telefonliste zusammengestellt.» So kamen schon in der Startwoche 35 Prozent zusammen. Als Faustregel gilt: Wer in dieser Zeit nicht bereits mindestens 20 bis 30 Prozent der Zielsumme erreicht, scheitert.

Laut Seri Wada gilt es, einen Ruck auszulösen. «Man darf nicht für sich betteln, sondern bei den Leuten Emotionen wecken, damit sich die Crowdfunder als Teil der Geschichte sehen.» Das ist dem Bäcker aus Uzwil/SG gelungen: Viele seiner Unterstützer sind heute Kunden. Céline Fallet, Community- und Projektmanagerin bei «wemakeit», dreht den Spiess um: «Mangelhafte Kommunikation ist die häufigste Ursache fürs Scheitern.»

Sieben Mehrwerte dank Crowdfunding-Kampagnen

Die Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Chur hat sich dem recht neuen Phänomen Crowdfunding angenommen. Im Forschungsbericht «Crowdfunding für Unternehmen» werden sieben Mehrwerte durch diese Finanzierungsart genannt:

  • Reichweite: Aufbau und Erweiterung der Community durch die gezielte Online-Kommunikation im Rahmen eines Projekts.
  • Marketing: die Möglichkeit, im Rahmen eines CrowdfundingProjekts Werbung und PR für das Produkt zu lancieren.
  • Branding: die Möglichkeit, durch den Fokus auf das einzelne Projekt und die Crowdfunding-Kampagne die eigene Marke neu zu etablieren oder für eine bestehende Marke deren Konturen zu schärfen oder deren Positionierung neu auszurichten.
  • Pre-Market-Check: neue Ideen für Produkte und Dienstleistungen auf Interesse der Öffentlichkeit durch die Kampagne testen, potenzielle Zielgruppen ausloten und Marktpotenziale abschätzen.
  • Open Innovation: Durch Crowdfunding lassen sich Kundenbedürfnisse und Impulse für Produktverbesserungen aus der Crowd generieren.
  • Vertriebskanal: Produkte und Dienstleistungen können vorab verkauft werden, ehe umfangreiche Produktions- und Vorbereitungskosten anfallen.
  • Kundenbeziehung: neue Zielgruppen erreichen und erste, bereits enge Kundenbeziehungen entwickeln.

Crowdfunding in der Tourismus-Branche noch nicht etabliert

Während die Schwarmfinanzierung in der Hotellerie und Gastronomie bereits ein gängiges Mittel ist, tut sich die Tourismus-Branche noch schwer. Im vergangenen März präsentierte die HTW Chur eine Studie, die aufzeigt, dass es 80 Prozent der Branchenvertreter nicht für üblich halten, Geld durch Crowdfunding zu generieren.

Dass bei den wenigen Crowdfunding-Projekten, die dem dehnbaren Begriff Tourismus (Outdoor, Kultur, Veranstaltungen oder Konzerte) angehören, die Zielsummen jedoch stetig ansteigen, deutet darauf hin, dass sich dieser Weg allmählich etabliert.

Ob sich die nächste Renovation des Spa-Bereichs oder die geplante Touristenattraktion für eine Crowdfunding-Kampagne eignet? Je nach Plattform wird mehr oder weniger Support geboten. Mithilfe des Profis und grossem Einsatz lässt sich eine solche Kampagne aufgleisen. Nach dieser sollte klar sein, ob allfällige Kunden ein Produkt wollen oder eben nicht.

(Benny Epstein)


Mehr Informationen unter:

www.wemakeit.ch
www.funders.ch
www.100-days.net