Ein weiterer Zustrom von Asylsuchenden und Flüchtlingen steht bevor. Die Situation ist nicht einfach, bietet aber Menschen wie Gastronomiebetrieben die Möglichkeit zu einem Neuanfang.
Das ehemalige Gasthaus Bahnhof in Untervaz wird ab Frühsommer eine Unterkunft für Asylsuchende sein. 125 Menschen sollen hier jeweils Platz finden, bis über ihr Asylgesuch entschieden ist. Die Gemeinde Trimmis, auf deren Grund das Gasthaus Bahnhof steht, hat mit dem Kanton Graubünden einen Mietvertrag über zehn Jahre unterschrieben.
Der Kanton Graubünden hat bereits andere leerstehende touristische Unterkünfte zur Unterbringung von Asylsuchenden gemietet. So beispielsweise das Hotel Rustico in Laax oder die Chasa Muntanella, ein Sport- und Ferienlagerhaus in Valchava im Val Müstair.
Leerstehende Hotels und Spitäler, Ferienlagerhäuser, Jugendherbergen und Ferienhäuser sind bei kantonalen Behörden zurzeit gefragte Objekte, sei es für lange Mietverhältnisse oder nur kurzfristig. Neben dem Kanton Graubünden nutzen unter anderem auch die Kantone Bern, Luzern, St. Gallen und Obwalden Gasthäuser als Unterbringungsmöglichkeit für Asylsuchende. «Die bestehende Infrastruktur ist ideal und es sind nur wenige bauliche Anpassungen notwendig», nennt Ruedi Fahrni von der Dienststelle Soziales und Gesellschaft, Bereich Asyl- und Flüchtlingswesen des Kantons Luzern, den Hauptvorteil dieser Unterbringungsart.
Im Kanton Obwalden werden Asylsuchende schon seit Jahren im «Tell», einem stillgelegten Hotel, untergebracht. Und die Jugendherberge Busskirch in Rapperswil-Jona diente in den Wintermonaten schon mehrmals als Unterkunft für Menschen, die aus ihren Heimatländern flüchten mussten. Im Kanton Bern sieht man Hotels als gute, kurzfristige Alternative, um überbelegte Kollektivunterkünfte zu entlasten.
Jedes Jahr scheiden in der Schweiz zwischen 60 und 80 Hotels aus dem Markt aus. Meist sind es kleinere, in die Jahre gekommene Betriebe in ländlichen Gebieten. Entweder fehlt es ihnen an Gästen und somit an den Finanzen für Betrieb und Investitionen, oder es gibt keine Nachfolger, die den Betrieb weiterführen wollen.
«Bis zur Annahme der Zweitwohnungsinitiative wurden diese Häuser oft zu Ferienwohnungen umgebaut. Das ist nun durch die Gesetzgebung weit schwieriger geworden», sagt Bettina Baltensberger. Sie ist bei hotelleriesuisse die Leiterin des Rechtsdiensts. Die Umnutzung vom Gästehaus für Touristen zur Unterkunft für Asylsuchende könnte eine sinnvolle Alternative zur drohenden Hotelruine sein.
Asylsuchende brauchen nicht nur Logis, sie brauchen auch Verpflegung. Wie bei der Unterkunftsfrage gibt es auch hier verschiedene und kantonal recht unterschiedliche Modelle.
Im Zentrum für unbegleitete minderjährige Asylsuchende (ZUMA) im Kanton Luzern beispielsweise werden Frühstück und Mittagessen durch einen Koch vorbereitet. Auch im Bundeszentrum Glaubenberg im Kanton Obwalden werden die Asylsuchenden professionell bekocht. In anderen Unterkünften und Kantonen kochen die Asylsuchenden mit oder verpflegen sich selbständig. In der Chasa Muntanella im Val Müstair beispielsweise stehen ihnen dafür zehn kleine Kochplatten zur Verfügung.
Es gibt aber auch Restaurants, die quasi einen behördlichen Cateringauftrag fürs Verpflegen von Asylsuchenden erhalten. «Aktuell kocht das Hotel Bahnhof Post die Mittag- und Abendessen für das Empfangs- und Verfahrenszentrum (EVZ) Kreuzlingen», sagt Léa Wertheimer, Mediensprecherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements EJPD. Die Bundes- und Asylzentren müssen flexibel auf die starken Schwankungen der Belegungszahlen reagieren können. Die Zusammenarbeit mit Restaurants sei für sie optimal, um das Verpflegungsproblem zu lösen. Für Gastronomiebetriebe, die sich in der Nähe eines Bundeszentrums oder einer Asylunterkunft befinden, könnte sich durch Cateringaufträge von Bund, Kanton oder Gemeinde durchaus ein schönes Nebengeschäft ergeben.
So lange ein Asylsuchender keinen Bescheid erhalten hat, dass er als Flüchtling anerkannt worden ist, darf er keiner Erwerbstätigkeit nachgehen und ist quasi Gast der Schweiz.
Pro Monat erhält ein alleinstehender Asylsuchender 293 Franken. Davon muss er alle persönlichen Ausgaben decken wie Essen, Telefon, Kleidung, Zigaretten, Hygieneartikel und ÖV-Billette. Zum Vergleich: Die Budgetberatung Schweiz empfiehlt als Taschengeld für einen 15-jährigen Schüler pro Monat zwischen 160 bis 260 Franken. Hinzu kommen als erweitertes Taschengeld die Fahrkosten zur Schule nach Aufwand und 10 Franken pro Tag für auswärtige Verpflegung.
Das Taschengeld eines Schülers kann also rasch doppelt so hoch ausfallen wie der Betrag, der einem Asylsuchenden zur Verfügung steht. Durch kleine Arbeiten für die Allgemeinheit können sich Asylsuchende drei Franken pro Tag dazuverdienen. Hilfsarbeiten oder Praktika in wirtschaftlich geführten Unternehmen wie es Hotels sind, bleiben ihnen aber untersagt. Der Bund will damit verhindern, dass Asylsuchende als Billigarbeitskräfte ausgenutzt und inländische Arbeitskräfte ausgebootet werden.
Erst als anerkannter oder vorläufig aufgenommener Flüchtling darf dieser arbeiten. Den meisten Flüchtlingen fehlen aber die nötigen Qualifikationen, um in der Schweiz arbeiten zu können. In speziellen Integrationsprogrammen werden ihnen diese vermittelt. In der Gastronomiebranche gibt es dafür die Riesco-Kurse.
«Riesco ist das Grundmodell des vom Staatssekretariat für Migration (SEM) lancierten Konzepts der so genannten Integrationsvorlehre», erklärt Brigitte Meier-Schmid, Leiterin Kommunikation bei GastroSuisse. Die Riesco-Kurse werden seit 2006 im Auftrag der Kantone Luzern und Zürich von der Hotel & Gastro formation Weggis durchgeführt.
Leider hat sich der Kanton Luzern entschieden, seinen Auftrag an die Hotel & Gastro formation zu sistieren. Der Kanton Luzern möchte eigene berufliche Qualifizierungskurse anbieten. Dies in den Bereichen Logistik, Bau und Pflege. Dafür interessiert sich neu der Kanton Wallis für die Riesco-Kurse. «Ab Herbst werden wir fürs Wallis zwei Kurse durchführen. Einen auf Deutsch und einen auf Französisch», freut sich Heinz Gerig, Leiter Basisqualifikation bei der Hotel & Gastro formation, Weggis. Weitere Kantone hätten ihr Interesse an «Riesco» ebenfalls angemeldet. Doch da sei noch nichts spruchreif.
Ins Blickfeld der breiten Öffentlichkeit rückten die Riesco-Kurse durch die Dok-Serie «Auf euch hat hier niemand gewartet» (siehe Infobox). Über eine halbe Million Zuschauer haben sich die Sendungen angeschaut. «Die Zuschauerquote und das Echo auf die Sendung war so überwältigend, dass das Schweizer Fernsehen einen dritten Teil plant. Dieser soll in knapp zwei Jahren ausgestrahlt werden und zeigen, ob sich die Absolventen im Arbeitsmarkt etabliert haben», weiss Heinz Gerig.
Wie die Erfahrungen aus den vergangenen zehn Jahren zeigen, können über 80 Prozent der rund 320 Riesco-Teilnehmenden in den Arbeitsmarkt vermittelt werden. Die meisten blieben in der Gastronomie, einige arbeiten im Detailhandel oder bei touristischen Leistungsträgern.
«Riesco» ist keine berufliche Grundbildung im Zeitraffer, sondern eine Integrationsvorlehre. Natürlich vermitteln Heinz Gerig und sein Team den Teilnehmenden gewisse Grundkenntnisse in den Bereichen Hauswirtschaft, Restauration und Küche. Die Hauptaufgabe besteht aber darin, den Menschen aus den verschiedensten Kulturen die in der Schweiz geltenden Standards in Sachen Umgangsformen, Sauberkeit und Pünktlichkeit zu vermitteln. So, dass sie die Grundlagen haben, um weiter ausgebildet zu werden. Ein wichtiger Punkt ist dabei der Sprachunterricht. Ohne ausreichende Kenntnisse einer Landessprache ist es unmöglich, über den Status eines Hilfsarbeiters hinauszukommen.
Etliche der Riesco-Absolventen nutzen ihre Chance. Sie machen anschliessend an den einjährigen Kurs eine Lehre. Zum Beispiel die Ausbildung zum Küchenangestellten mit eidgenössischem Berufsattest. Ein Betrieb, der schon mehrere Flüchtlinge nach dem Riesco-Kurs übernommen, ausgebildet und danach als vollwertige Mitarbeitende eingestellt hat, ist das Restaurant Muggenbühl in Zürich.
Für eine gelungene Integration braucht es motivierte, lernwillige Flüchtlinge, aber auch engagierte Arbeitgeber. Im Kanton Graubünden sucht die Fachstelle Integration gezielt nach Arbeitgebern, die bereit sind, Flüchtlinge für Schnupperwochen, Praktika-, Temporär- oder Festanstellungen anzunehmen. Da die Arbeitsleistung und -qualität dieser Arbeitnehmenden meist noch nicht für eine Anstellung zum branchenüblichen Lohn reicht, verzichten viele Arbeitgeber darauf, Flüchtlinge fest einzustellen.
Hier springt der Kanton mit dem Stufenmodell «Teillohn plus» ein. Er übernimmt für längstens zwei Jahre einen Teil des Lohnes und schafft damit eine Win-win- win-Situation. Der Flüchtling hat eine bezahlte Arbeit, der Hotelier einen günstigen, entwicklungsfähigen Mitarbeitenden und der Kanton hat mittel- und langfristig einen arbeitslosen Flüchtling und damit Sozialhilfeempfänger, den er finanzieren muss, weniger.