Warum neben Tagestellern nicht auch Romane, Armbänder und Kleider verkaufen? Im Restaurant Bücher verlegen, Schuhe herstellen oder Platten drucken?
Was im Ausland schon seit einiger Zeit zu beobachten ist, fasst langsam auch in der Schweiz Fuss. Restaurants dienen nicht mehr nur dem Zweck, den Gast zu sättigen und ihn mit einem guten Gefühl wieder in den Alltag zu entlassen. Nein, die Gäste sollen etwas erleben, sich an das Lokal erinnern. Nicht nur des Essens oder der Gesellschaft wegen, sondern durch einen Gegenstand, der dort erworben oder gar selbst hergestellt wurde. Die Rede ist nicht von einem im Haus gemischten Gewürzsalz, dem Lieblingsolivenöl des Kochs oder den Bildern, welche als temporäre Ausstellung von einer Künstlerin aus der Umgebung die Wände zieren. Nein. Restaurants dienen heute auch als Aufnahmestudios, Boutiquen, Bücherläden und Schuhgeschäfte.
Claudia Nabholz, Inhaberin von «Frau Meise» in Baden/AG zum Beispiel, liess sich in Hamburg und Berlin zur Eröffnung ihres Lokals inspirieren: «Als ich noch als Wirtschaftspsychologin tätig war, weilte ich oft in Hamburg und bei meiner Schwester in Berlin. Dort fielen mir die vielen Cafés auf, die den ganzen Tag Frühstück anbieten und gleichzeitig als Boutiquen dienten. Oft dachte ich mir dort, dass ich als Besitzerin eines solchen Cafés am glücklichsten wäre.»
Claudia Nabholz ist keine Frau der leeren Worte. Von der Schwester dazu aufgefordert, ihren Traum wahr werden zu lassen, schrieb sie noch in den Ferien das Konzept für ihr Café plus Speisekarte. Zurück in der Schweiz, erstellte sie gemeinsam mit ihrem Vater, einem Unternehmensberater, den Business- und Finanzplan. Zwei Wochen später kam sie zufällig an ihrem künftigen Lokal in der Badener Altstadt vorbei. Auch der Vermieter war von Claudia Nabholz’ Idee überzeugt und drei Wochen später unterschrieb die 34-Jährige den Vertrag für das eigene Lokal. Sie kündigte den Job und baute es mit Freunden um, beschaffte sich gebrauchte Maschinen sowie alte Möbel von einem Boutiquehotel. «So blieben die Ausgaben überschaubar. Ich wollte meinen Traum möglichst entspannt ohne Kredite finanzieren.»
Über gastronomischen Background verfügte die Aargauerin nur wenig: «Ich war als Studentin mal in der Spaghetti Factory und in einer Bar tätig», sagt sie. Heute arbeiten 14 Personen im Restaurant Frau Meise, die meisten auf Stundenlohnbasis. «Wir sind mehr Gastgeber als Gastronomen. Wir sind nicht perfekt, aber die Gäste sollen sich bei uns zu Hause fühlen.» Ihr Konzept geht auf. Seit sieben Jahren nun frühstücken ihre Gäste den ganzen Tag lang selbstgemachte Konfitüren ihrer Grossmutter, Bauernbrot aus der Umgebung und Biokäse.
Am Mittag gibt’s Bagels und Suppe, ausser mittwochs, da kocht Claudia Nabholz’ Mutter und freitags, dann gibt’s Wähen von der Bäuerin. Und natürlich kaufen die Gäste auch ein. «Ich mache mit dem Verkauf meiner eigenen Kleiderlinie, Schmuck und Haushaltswaren mehr Gewinn als mit dem Café», sagt Claudia Nabholz. Und dies, obwohl sie im oberen Stock des Hauses zusätzlich Übernachtungsmöglichkeiten in zwei Gästezimmern anbietet.
Auch im «Supersense» wird der Hauptumsatz nicht mit Speisen und Getränken gemacht. Das Wiener Lokal, das alle Sinne anspricht, hat drei Schwerpunkte: die analoge Sofortbildkamera, ein Tonstudio sowie ein Aufnahmestudio. Da sich «Supersense» in einem alten Wiener Palast allen sinnlichen Erfahrungen des Lebens widmet, befindet sich im Eingangsbereich ein Café. Da gibt es Spezialitäten von österreichischen Kleinproduzenten wie eigens kreierten Schweinebraten-Aufschnitt, Bergkäse, gemischte Platten, selbstgemachte Marmeladen und Torten. Das Bier stammt von einer kleinen Tiroler Start-up-Brauerei, der Kaffee kommt von einer Kleinrösterei und wird in «der tollsten Espressomaschine der Stadt» – einer Slayer/Seattle – zubereitet. «Unsere Gäste können hier fühlen, sehen, hören, riechen und schmecken», sagt Mitarbeiterin Marlene Kelnreiter. Dafür hat sich der Gründer des Lokals, Florian Kaps, einiges einfallen lassen.
Florian Kaps dürfte in der Kunstwelt ein Begriff sein. Er verhinderte, dass die Polaroid-Kameras und -Fotos verschwanden, indem er Mitarbeiter sowie Gerätschaft übernahm und die Produkte in seiner Firma Impossible Project weiterführte. Diese hat er nun verkauft und widmet sich fortan unter anderem dem «Supersense». Klar machen Sofortbildkameras oder eben Polaroid-Kameras einen wichtigen Teil des Lokals aus. Es beherbergt die grösste Polaroid-Kamera der Welt, und diese ist ungefähr so gross wie ein erwachsener Mensch. Viele Gäste lassen sich hier ablichten. Darunter Musiker, die erst im hauseigenen Tonstudio ihre Platte aufnehmen, vor Ort pressen und das Cover dann mit ihrem Foto versehen lassen. Da an der Praterstrasse auch Drucksachen hergestellt werden, kann man im «Supersense» gleich die Hülle der Platte kreieren. Auch Karten, Agenden und vieles mehr kann man hier nach Wunsch herstellen lassen. Die Sinne Hören, Sehen, Fühlen und Schmecken sind nun abgedeckt. Riechen kann man im Smell Lab, wo «Supersense»- Gäste ihre Erinnerungen als Parfum mischen und in Ampullen verpackt mit nach Hause nehmen können.
Auch beim Schumacher R. Scheer & Söhne in Wien werden Gäste in eine Welt geführt, die alle Sinne bedient: «Der Geruch von Leder und Holz harmoniert mit dem Geschmack der Weine, Kunsthandwerk verbindet sich mit Kochkunst, das Hämmern aus der Werkstätte wird zu einer musikalischen Untermalung», verspricht das Geschäft auf seiner Homepage.
Auf dem Tisch, auf dem heute Schuhe gepflegt werden, hatte Markus Scheer, Leiter des Familienunternehmens in siebter Generation, noch mit seinen Grosseltern zu Mittag gegessen. Diese Erinnerungen waren mit einer der Beweggründe für ihn, die Tradition der Gastfreundschaft wieder aufleben zu lassen: 2012 wurden die Räumlichkeiten in der Bräunerstrasse um die Geschäftsräume im Erdgeschoss erweitert und renoviert. Im Zuge dessen wurde mit den Gourmetköchen Otto Bayer und Bojan Brbre die Idee «Scheer Essen» kreiert: auf Wunsch verwandeln sich der Scheer Raum, der Keller und das Atelier in Stätten der Gastlichkeit. Freunde des Hauses können die Räume für gesetzte Essen, Präsentationen, Besprechungen oder Feiern mieten. «Ablauf, Umfang und Menü gestalten wir stets massgeschneidert für die Gäste, je nach Anlass, Vorlieben und Budget. Mitunter treten wir in den Hintergrund und sorgen einfach für eine ausgewogene und einzigartige Atmosphäre. Wenn gewünscht, bieten wir gerne Impulsvorträge und Führungen durch das Haus an, zeigen die Werkstätte und philosophieren über Handwerk und Qualität», erläutert Daniel Stifter, Presseverantwortlicher von Scheer.
Gekocht wird vor Ort mit Zutaten, die soweit möglich von bekannten und befreundeten Betrieben und lokalen Lieferanten kommen. «Wie bei unseren Schuhen ist uns auch hier wichtig zu wissen, woher der Grundstoff kommt», sagt Daniel Stifter dazu.
Nicht weit von «Scheers» entfernt, liegt das «Phil». Ein Kaffee, das Buchladen, Verlag, Label, Kino und Secondhandmöbelladen vereint. Dort haben Gäste die Möglichkeit, in gemütlicher Atmosphäre in Büchern zu schmökern und ganztags zu frühstücken. Abends finden Lesungen und Filmvorführungen statt.
Dafür muss man jedoch nicht nach Wien fliegen. Diese Möglichkeit bietet sich auch im Zürcher «Sphères» an der Hardturmstras- se. In einer ehemaligen Anlieferhalle eines Porzellangrosshandels kann in Büchern gelesen und bei einem Kaffee entschieden werden, ob man ein Buch kaufen möchte oder nicht. Daneben sind frische Sandwiches, Snacks und einfache Gerichte wie «Ghackets und Hörnli» im Angebot. Während das «Sphères» wochentags von Hungrigen und Bücherwürmern belagert wird, machen am Wochenende Spaziergänger, darunter viele Familien, im Lokal an der Limmat für einen Kaffee Halt.
Sarah Sidler
In diesem Shoppingrestaurant mit französisch angehauchter Karte kann vom Bilderrahmen bis zum Salzstreuer fast alles im Lokal oder im betriebseigenen Möbel- und Accessoireladen gekauft werden.
Restaurant Tisch + Bar
Holzhäusernstrasse 4
6343 Holzhäusern
<link http: www.tischundbar.ch>www.tischundbar.ch
Am Designermarkt in einer der grössten Gartenwirtschaften Zürichs, Frau Gerold, kann bis 4. Juni jeden Samstag von 11 bis 17 Uhr eingekauft werden.
Frau Gerolds Garten
Geroldstrasse 23/23a
8005 Zürich
<link http: www.fraugerold.ch>www.fraugerold.ch
Beim Espressotrinken, Schuhe aus aller Welt probieren.
Schuhcafé
Badenerstrasse 89
8004 Zürich
<link http: www.schuhcafe.ch>www.schuhcafe.ch
Im ersten Stock der Wiener Essigfabrik Gegenbauer befinden sich neu fünf Gästezimmer. Die Gäste sollen involviert sein in den Betrieb. Kaffee, Honig, Brot, Frühstücksei, Kräuter sowie Gemüse gibt’s eigene.
Wiener Essig Brauerei
Waldgasse 2
1100 Wien
<link http: www.gegenbauer.at>www.gegenbauer.at