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Rollmops- und Pizza-Eis

Statt aus Erdbeer, Vanille oder Schokolade gibt es Glace aus Pizza oder Braunkohle. Die Ideen rund um das kühle Dessert werden immer ­verrückter. Alles, was der Lebens­mittel­bereich hergibt, wird zu Glace ver­arbeitet.

  • Die Schweizer schlecken fünfeinhalb Liter Glace pro Jahr. Europäische Meister im
    Glacekonsum sind die Finnen mit einem Jahreskonsum von zwölf Litern pro Kopf. (Bilder ZVG)
  • Das Sandwich-Eis, das bereits in den 1950er-Jahren in Mode war, erlebt ein Revival.
  • Matthias Münz bezeichnet sich und sein Geschäft als «Der verrückte Eismacher».

Die Chinesen erfanden die Glace. Sie schleckten bereits in der Antike Schnee mit Früchten, Honig und Rosenwasser. Die Italiener gelten als innovative Glaceerfinder. Noch heute haben ihre Gelati einen exzellenten Ruf. Deutschland ist das Land der Eisdielen. Es sollen über 5500 Läden sein.

Die Geschichte des Speiseeises könnte unendlich fortgesetzt werden. Das gefrorene Dessert ist bis heute beliebt, vor allem an heissen Tagen. 94 Prozent der Schweizer Glacen werden industriell hergestellt. Doch in den letzten Jahren bekommt die Industrieglace zunehmend Konkurrenz durch Nischenplayer, wie etwa das Berner Unternehmen Giolito. Hier gibt es Schokolade mit Chili, Tè Verde aus japanischem Macha-Grüntee, Litchi Sorbetto mit 68 Prozent Litchis aus Taiwan oder Caffè Bianco, für das die Kaffeebohnen in Rahm eingelegt werden.

Darf’s eine Kugel Bierglace sein?

Die Fantasie kennt im Glacegeschäft keine Grenzen mehr. Das zeigt der 1. Juli, der gemäss dem «Kleinen Kalender», einer deutschen Seite im Internet, als internationaler Tag der kreativen Eissorten gilt. Ein Anlass, der schon mehrfach stattfand, von dem aber nicht bekannt ist, wann er von wem lanciert worden ist. In der Schweizer Glacebranche ist dieser Tag unbekannt. Walter Diethelm, Managing Director bei Giolito, sagt dazu: «Vom nationalen sowie von den internationalen Verbänden der Eishersteller habe ich von einem solchen Event noch nie gehört.» Doch da im Zeitalter der sozialen Medien Bloggerinnen und Blogger laufend neue Events und Angebote lancierten, verwundere ihn das nicht. So gebe es ja auch einen nationalen Schokoladen-, Sandwich- oder Wassereis-Tag.

Diethelm kann sich vorstellen, dass dieser Tag von einem kreativen Eisproduzenten als Werbung in eigener Sache ins Leben gerufen wurde. «Am 1. Juli konzentrieren sich die meisten Eisproduzenten aufs Verkaufen und Produzieren und etwas weniger auf die Entwicklung neuer Kreationen», sagt er. Auch Giolito entwickle laufend neue Sorten. Derzeit sind Kreationen wie Zucca Spice (Kürbis, mit einer winterlichen Gewürzmischung) oder Menta Cioccolato (Minze mit Schokoladestückchen) aktuell. Die nächste kreative Phase ist im Frühjahr geplant, damit die Neukreationen in die Eiskarten für die Sommersaison aufgenommen werden können.

Einer, der besonders kreativ ist – und zwar nicht nur am besagten Kreativtag –, ist Matthias Münz vom «Der verrückte Eismacher». Er betreibt in München drei Eiscafés, einen Eiscateringbetrieb und einen Eisshop. Matthias Münz hat das Eisgeschäft von der Pike auf erlernt. Der Absolvent der Münchner Hochschule für angewandte Wissenschaften schloss sein Studium mit der Bachelorarbeit «Existenzgründung in der Eisbranche – Eröffnung eines innovativen Eiscafés in München» ab. Diese beinhaltete in knapp 200 Seiten einen Businessplan, Standort und Wettbewerbsanalysen, Kostenrechnungen und Expansionspläne.

Bereits während des Studiums arbeitete Münz in verschiedenen Eiscafés. Danach zog es ihn nach Italien, um an der Università dei Sapori einen einmonatigen Eiskurs zu belegen. «Mir wurde dort das Bilanzieren der Zutaten beigebracht, sodass die perfekte Cremigkeit des Eises gewährleistet wird», erzählt der 31-Jährige. «Wir zerlegten das Eis bis hin zu den einzelnen Atomen.» Vor gut fünf Jahren eröffnete er dann seine erste Eisdiele. Auf der Karte finden sich bizarre Geschmacksrichtungen wie Weisswurst, Rollmops, Kassler mit Sauerkraut oder Heuschrecken. Das Echo auf die ausgefallenen Eissorten ist gross. «Meine Kunden lieben meine extravaganten Eisvariationen», so Münz. Sorten wie Apfelmus-Pfannkuchen, gebrannte Mandeln, Bier, Champagner, Sachertorte, Erdbeer-Basilikum-Balsamico und weitere sind die Gründe, warum sich lange Schlangen vor dem Eiscafé bilden und die Kunden bis zu einer Stunde Wartezeit auf sich nehmen.

Täglich stellen Münz und sein Team auch ganz verrückte Eissorten wie Schweinebraten, Pizza, Käsespätzle oder Gaudakäse her. Jedoch: «Von diesen Sorten verkaufe ich nur wenige Kugeln», so Münz. Sie dienen eher der Erheiterung der Kunden, würden aber trotzdem gerne probiert: «Es gibt zu jedem gekauften Eis einen kostenlosen Testlöffel einer anderen Sorte.» Bei dieser doch eher ungewöhnlichen Vielfalt an Eissorten gibt es natürlich auch immer wieder solche, die nicht alle begeistern. Fleisch-Eis komme gemäss Münz nicht bei allen Kunden gut an, Fisch-Eis sei ebenfalls nicht für jeden Geschmack und Eis mit Knoblauch, zum Beispiel Döner oder Zaziki, sei auch sehr speziell. «Heftige Diskussionen verursachte mein Straccia-Wurmella-Eis, Stracciatella mit gerösteten Mehlwürmern. Den Anblick fanden einige Kunden gar nicht gut.»

Glace, die kaum schmilzt

Auch wenn sich der Glacemarkt punkto Geschmacksrichtungen in den letzten Jahren enorm entwickelt hat, ist die Forschung noch längst nicht ausgeschöpft. In Japan soll nämlich eine nicht schmelzende Glace lanciert worden sein. Dabei wird der in Erdbeeren enthaltene Pflanzenstoff Polyphenol verwendet. Sein Extrakt hat die Eigenschaft, die Trennung von Wasser und Fetten zu erschweren. Das führt dazu, dass Glace mit diesem Inhaltsstoff länger seine Form behält und nur langsam schmilzt. Entwickelt wurde dieses Verfahren vom Unternehmen Biotherapy Development Research Center in Kanazawa auf der japanischen Insel Honshu. Die Forscher waren eigentlich auf der Suche nach landwirtschaftlichen Wirkstoffen, mit denen die Ernteausfälle nach dem Tsunami und der Reaktorkatastrophe von Fukushima vermindert werden könnten. Per Zufall fanden sie dabei das Verfahren der kaum schmelzenden Eissorte heraus und benannten die daraus entstandene Glace nach dem Herkunftsort. Das Kanazawa Ice ist so begehrt, dass es in japanischen Städten zu langen Warteschlangen kommt.

Übrigens: Wenn beim Glaceessen plötzlich ein heftiger Schmerz den Kopf durchsticht, so ist das nicht ungewöhnlich. Es handelt sich dabei um das Phänomen Kältekopfschmerz, auch Gehirnfrost, Brain-Freeze-Effekt oder Eiskopfschmerz genannt. Schon lange versucht die Wissenschaft, dieses Phänomen auszukundschaften. Eine mögliche Erklärung: Der Gaumen meldet «kalt». Dadurch erweitern sich die Blutgefässe und drücken gegen die Nervenzellen. Und diese beschweren sich mit Schmerzsignalen.

(Ruth Marending)


Skurriles rund um die Glacevielfalt

  • Der englische Glaceerfinder Charlie Harry Francis ist für so manch kreative Eiskreation bekannt. Einmal, so wird herumge­boten, habe er für einen Prominenten ein leuchtend blaues Viagraeis kreiert. Geschmacks­richtung: Champagner. Angeblich sollen 25 Milligramm Potenzmittel drin gewesen sein. Vom gleichen Glaceerfinder gibt es leuchtende Eis­cremekugeln. Der Glace werden bei der Herstellung zusätzliche Proteine zugeführt. ­Sobald die warme Zunge die Eiskugel ­berührt, beginnt diese zu leuchten. Eine Kugel kostet allerdings 180 Euro.
  • In London verkaufte ein Geschäft Glace aus echter Muttermilch. Die Sorte trug den Namen «Baby Gaga», angelehnt an Popstar Lady Gaga. Diese verklagte daraufhin das Unternehmen. Die Glace wurde von der Gesundheitsbehörde aus dem Verkehr gezogen, erlebte aber zur Geburt des zweiten Kindes von Prinz William und Kate ein Comeback.
  • Ein spanischer Physiker hat ein Eis erschaffen, das dank des Zusammenspiels von Temperatur, Säure und Oxidierung die Farbe von Blau zu Pink und dann zu Lila wechselt.
  • Glace aus Pferdefleisch, Tintenfisch oder Braunkohle: In Japan gibt es das alles.
  • Auch in Amerika finden sich spezielle Sorten. So soll es in New York City Butter-Eiscreme mit echten Hummerstückchen und Cheeseburger-Eiscreme geben. Und in Alaska verkaufen Supermärkte Eis aus dem Fett von Rentieren und Walen.
  • Im Iran gibt es das Faludeh-Eis, eine Kombination von Glasnudeln, Limettensaft, Zucker und Rosenwasser.
  • Aus Hongkong schwappt der Trend Egg-Waffles nach Europa. Für den Streetfood-Snack werden Waffeln mit Eiscreme und Obst gefüllt.
  • Eine andere Idee ist das Rolled Ice Cream oder auch «Cold Stone Ice» – ein Snack, den es auf vielen Strassenmärkten Thailands gibt. Dafür wird eine cremige Eismasse auf einer kalten Platte von minus 30 Grad Celsius ausgestrichen, die sofort gefriert. Die Masse wird mit gebrannten Mandeln, kandiertem Ingwer oder Früchten vermengt und zu Eisröllchen geformt. 
  • Die Australier mögen eine verrückte Kombination: Glace und Pommes frites. Beim Eis handelt es sich nicht um klassische Sorten wie Vanille oder Schokolade, sondern um Grüntee-Eis. 
  • Aus Sizilien kommt der Trend der Eis­burger. Dafür wird cremiges Milchglace zwischen zwei Brioche-Hälften gestrichen.