Statt aus Erdbeer, Vanille oder Schokolade gibt es Glace aus Pizza oder Braunkohle. Die Ideen rund um das kühle Dessert werden immer verrückter. Alles, was der Lebensmittelbereich hergibt, wird zu Glace verarbeitet.
Die Chinesen erfanden die Glace. Sie schleckten bereits in der Antike Schnee mit Früchten, Honig und Rosenwasser. Die Italiener gelten als innovative Glaceerfinder. Noch heute haben ihre Gelati einen exzellenten Ruf. Deutschland ist das Land der Eisdielen. Es sollen über 5500 Läden sein.
Die Geschichte des Speiseeises könnte unendlich fortgesetzt werden. Das gefrorene Dessert ist bis heute beliebt, vor allem an heissen Tagen. 94 Prozent der Schweizer Glacen werden industriell hergestellt. Doch in den letzten Jahren bekommt die Industrieglace zunehmend Konkurrenz durch Nischenplayer, wie etwa das Berner Unternehmen Giolito. Hier gibt es Schokolade mit Chili, Tè Verde aus japanischem Macha-Grüntee, Litchi Sorbetto mit 68 Prozent Litchis aus Taiwan oder Caffè Bianco, für das die Kaffeebohnen in Rahm eingelegt werden.
Die Fantasie kennt im Glacegeschäft keine Grenzen mehr. Das zeigt der 1. Juli, der gemäss dem «Kleinen Kalender», einer deutschen Seite im Internet, als internationaler Tag der kreativen Eissorten gilt. Ein Anlass, der schon mehrfach stattfand, von dem aber nicht bekannt ist, wann er von wem lanciert worden ist. In der Schweizer Glacebranche ist dieser Tag unbekannt. Walter Diethelm, Managing Director bei Giolito, sagt dazu: «Vom nationalen sowie von den internationalen Verbänden der Eishersteller habe ich von einem solchen Event noch nie gehört.» Doch da im Zeitalter der sozialen Medien Bloggerinnen und Blogger laufend neue Events und Angebote lancierten, verwundere ihn das nicht. So gebe es ja auch einen nationalen Schokoladen-, Sandwich- oder Wassereis-Tag.
Diethelm kann sich vorstellen, dass dieser Tag von einem kreativen Eisproduzenten als Werbung in eigener Sache ins Leben gerufen wurde. «Am 1. Juli konzentrieren sich die meisten Eisproduzenten aufs Verkaufen und Produzieren und etwas weniger auf die Entwicklung neuer Kreationen», sagt er. Auch Giolito entwickle laufend neue Sorten. Derzeit sind Kreationen wie Zucca Spice (Kürbis, mit einer winterlichen Gewürzmischung) oder Menta Cioccolato (Minze mit Schokoladestückchen) aktuell. Die nächste kreative Phase ist im Frühjahr geplant, damit die Neukreationen in die Eiskarten für die Sommersaison aufgenommen werden können.
Einer, der besonders kreativ ist – und zwar nicht nur am besagten Kreativtag –, ist Matthias Münz vom «Der verrückte Eismacher». Er betreibt in München drei Eiscafés, einen Eiscateringbetrieb und einen Eisshop. Matthias Münz hat das Eisgeschäft von der Pike auf erlernt. Der Absolvent der Münchner Hochschule für angewandte Wissenschaften schloss sein Studium mit der Bachelorarbeit «Existenzgründung in der Eisbranche – Eröffnung eines innovativen Eiscafés in München» ab. Diese beinhaltete in knapp 200 Seiten einen Businessplan, Standort und Wettbewerbsanalysen, Kostenrechnungen und Expansionspläne.
Bereits während des Studiums arbeitete Münz in verschiedenen Eiscafés. Danach zog es ihn nach Italien, um an der Università dei Sapori einen einmonatigen Eiskurs zu belegen. «Mir wurde dort das Bilanzieren der Zutaten beigebracht, sodass die perfekte Cremigkeit des Eises gewährleistet wird», erzählt der 31-Jährige. «Wir zerlegten das Eis bis hin zu den einzelnen Atomen.» Vor gut fünf Jahren eröffnete er dann seine erste Eisdiele. Auf der Karte finden sich bizarre Geschmacksrichtungen wie Weisswurst, Rollmops, Kassler mit Sauerkraut oder Heuschrecken. Das Echo auf die ausgefallenen Eissorten ist gross. «Meine Kunden lieben meine extravaganten Eisvariationen», so Münz. Sorten wie Apfelmus-Pfannkuchen, gebrannte Mandeln, Bier, Champagner, Sachertorte, Erdbeer-Basilikum-Balsamico und weitere sind die Gründe, warum sich lange Schlangen vor dem Eiscafé bilden und die Kunden bis zu einer Stunde Wartezeit auf sich nehmen.
Täglich stellen Münz und sein Team auch ganz verrückte Eissorten wie Schweinebraten, Pizza, Käsespätzle oder Gaudakäse her. Jedoch: «Von diesen Sorten verkaufe ich nur wenige Kugeln», so Münz. Sie dienen eher der Erheiterung der Kunden, würden aber trotzdem gerne probiert: «Es gibt zu jedem gekauften Eis einen kostenlosen Testlöffel einer anderen Sorte.» Bei dieser doch eher ungewöhnlichen Vielfalt an Eissorten gibt es natürlich auch immer wieder solche, die nicht alle begeistern. Fleisch-Eis komme gemäss Münz nicht bei allen Kunden gut an, Fisch-Eis sei ebenfalls nicht für jeden Geschmack und Eis mit Knoblauch, zum Beispiel Döner oder Zaziki, sei auch sehr speziell. «Heftige Diskussionen verursachte mein Straccia-Wurmella-Eis, Stracciatella mit gerösteten Mehlwürmern. Den Anblick fanden einige Kunden gar nicht gut.»
Auch wenn sich der Glacemarkt punkto Geschmacksrichtungen in den letzten Jahren enorm entwickelt hat, ist die Forschung noch längst nicht ausgeschöpft. In Japan soll nämlich eine nicht schmelzende Glace lanciert worden sein. Dabei wird der in Erdbeeren enthaltene Pflanzenstoff Polyphenol verwendet. Sein Extrakt hat die Eigenschaft, die Trennung von Wasser und Fetten zu erschweren. Das führt dazu, dass Glace mit diesem Inhaltsstoff länger seine Form behält und nur langsam schmilzt. Entwickelt wurde dieses Verfahren vom Unternehmen Biotherapy Development Research Center in Kanazawa auf der japanischen Insel Honshu. Die Forscher waren eigentlich auf der Suche nach landwirtschaftlichen Wirkstoffen, mit denen die Ernteausfälle nach dem Tsunami und der Reaktorkatastrophe von Fukushima vermindert werden könnten. Per Zufall fanden sie dabei das Verfahren der kaum schmelzenden Eissorte heraus und benannten die daraus entstandene Glace nach dem Herkunftsort. Das Kanazawa Ice ist so begehrt, dass es in japanischen Städten zu langen Warteschlangen kommt.
Übrigens: Wenn beim Glaceessen plötzlich ein heftiger Schmerz den Kopf durchsticht, so ist das nicht ungewöhnlich. Es handelt sich dabei um das Phänomen Kältekopfschmerz, auch Gehirnfrost, Brain-Freeze-Effekt oder Eiskopfschmerz genannt. Schon lange versucht die Wissenschaft, dieses Phänomen auszukundschaften. Eine mögliche Erklärung: Der Gaumen meldet «kalt». Dadurch erweitern sich die Blutgefässe und drücken gegen die Nervenzellen. Und diese beschweren sich mit Schmerzsignalen.
(Ruth Marending)