Dieses Jahr hätte der Bäckerssohn Hermann Müller aus Tägerwilen/TG seinen 175. Geburtstag feiern können. Mit der Rebsorte Müller-Thurgau schuf er die erfolgreichste Neuzüchtung der Welt. Er war in zahlreichen weiteren Bereichen ein Pionier.
Hermann Müller wurde am 21. Oktober 1850 geboren. Der Sohn des Bäckers in Tägerwilen/TG wurde zuerst Lehrer, dann Botaniker, später Pflanzenphysiologe, Phytopathologe, Önologe, Mikrobiologe, Rebenzüchter, Obstsaftpionier und Herausgeber der heute noch existierenden Fachzeitschrift «Obst und Wein». Doch ausserhalb des engen Fachzirkels ist der seinerzeit einflussreichste Schweizer Universalgelehrte kaum bekannt. Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass die von ihm gezüchtete Rebsorte hierzulande als Riesling-Silvaner bezeichnet wird und nicht als Müller-Thurgau wie im Kanton Thurgau und in der restlichen Weinwelt.
Lehrer war Hermann Müller nur für kurze Zeit. Denn er bildete sich am Polytechnikum, der heutigen ETH Zürich, zum Fachlehrer für Naturwissenschaften weiter und studierte in Würzburg (DE) Pflanzenphysiologie. Danach wurde er Lehrer für Botanik an der Preussischen Lehr- und Versuchsanstalt für Obst-, Wein- und Gartenbau in Geisenheim (DE), der heutigen Hochschule Geisenheim University. Dort kreuzte er 1882 die Rebsorte Riesling × Silvaner und wurde 1888 zum Professor ernannt.
In Würzburg erhielt der Schweizer Forscher den Beinamen «Müller-Thurgau», um ihn von einem Namensvetter zu unterscheiden. Denn zeitgleich war Heinrich Ludwig Hermann Müller ebenfalls ein bekannter Botaniker.
Im Jahr 1891 kehrte der Forscher mit seiner Familie in die Schweiz zurück. Er wurde erster Direktor der Versuchsanstalt und Schule für Obst-, Weinund Gartenbau in Wädenswil/ ZH. Im Gepäck hatte er 150 Riesling-×-Silvaner-Setzlinge, die er weiterzüchtete. Eine erste Rückführung von 100 Stöcken nach Geisenheim fand 1913 unter Verwendung der Sortenbezeichnung Müller-Thurgau-Rebe statt. Nachdem mit DNA-Analysen Silvaner als Kreuzungspartner ausgeschlossen werden konnte, wurde in der Schweiz das «x» durch einen Bindestrich ersetzt. International, zum Beispiel in den USA, Japan und Neuseeland, setzte sich der Name Müller-Thurgau durch. Mit Müller-Thurgau als Kreuzungspartner entstanden neunundsechzig neue Rebsorten.
Bereits lange bevor der Weinkonsum abnahm, experimentierte der visionäre Forscher an der Herstellung unvergorener und alkoholfreier Obst- und Traubenweine. Er verstarb 1927 in Wädenswil. Heute fördert die Müller-Thurgau-Stiftung praxisnahe Forschungs- und Entwicklungsprojekte. Damit pflegt und mehrt sie das kulturelle und intellektuelle Erbe von Professor Hermann Müller-Thurgau und seiner Nachfolger.
(Gabriel Tinguely)
Das Schild «Riesling × Sylvaner Urrebe Stock 58» ist einem Rebstock in Wädenswil/ZH umgehängt. Professor Hermann Müller-Thurgau hatte die Rebe 1882 in Geisenheim (DE) gezüchtet. Als er 1891 erster Direktor der Versuchsstation und Schule für Obst-, Wein- und Gartenbau wurde, brachte er seine Rebe mit. Von Wädenswil aus eroberte sie die ganze Welt.
Dazu beigetragen hatte der Schmuggel von 400 Setzlingen im April 1925. Zwei Burschen überquerten des Nachts in einem Ruderboot den Bodensee und brachten die Pfropfreben von der Rebschule auf Schloss Arenenberg in Salenstein/TG nach Meersburg (DE). Verbotenerweise pflanzte Johann Baptist Röhrenbach, Initiant des Schmuggels, diese in den Rebgärten des Markgrafen von Baden. Offiziell zugelassen wurde Müller-Thurgau auf der deutschen Seite des Bodensees erst im Jahr 1949 und löste den deutschen Weinboom aus.
Nach der Reblauskrise, dem aufkommen des Mehltaus und einer Folge von kühlen Jahren, in denen die Trauben kaum ausreiften, begannen Botaniker, neue Reben zu züchten. 1882 gelang Hermann Müller die vermeintliche Kreuzung von Riesling × Silvaner. Sie reifte früher als die bisher angebauten Räuschling und Elbling. Zudem hielt sie der damals rauen Witterung stand und ergab einen weniger mostigen und weniger sauren Wein.
Noch zu Lebzeiten hinterfragte Hermann Müller sein Werk und wollte den Kreuzungsversuch wiederholen. Dazu kam es jedoch nicht, eine gewisse Unsicherheit blieb. So kreuzte er einer ersten DNA-Analyse aus dem Jahr 1996 zufolge Riesling mit Chasselas. Erst eine dritte DNA-Analyse kam im Jahr 2000 zum Ergebnis, dass es sich wie im Stammbaum dargestellt, um eine Kreuzung von Riesling × Madeleine Royale handelt.
Wie jede Medaille zwei Seiten hat, verblasste der Glanz der begehrten neuen Rebe. Als Massenträger verlor sie die Gunst der Weinliebhaber und nach Zeiten der Überproduktion wurde die Anbaufläche in den späten 1990er-Jahren halbiert.
Letztes Jahr wurden von der Urrebe in Wädenswil Reise geschnitten, zu Reben herangezogen und auf eine Versuchsparzelle gepflanzt. Filigrane, frischfruchtige Riesling-Silvaner respektive Müller-Thurgau sind heute wieder gefragt. Und der Wein hat wie seine Verwandten, Riesling und Pinot, ein erstaunliches Reifepotenzial.
(gab)
Der junge Wein aus dem Aargauer Schenkenbergertal duftet nach Zitrusfrüchten, weissen Blüten und reifer Birne. Erfrischend im Auftakt spannt die Säure im Gaumen einen Bogen. Nach Pfirsich und Birne treten Noten von Pfeffer, Rauch und Fenchel auf. Ideal zum Aperitif, zu Vorspeisen und Fischgerichten. Adrian Hartmann bewirtschaftet die Reben nach Demeter-Richtlinien. Auf die Ganztraubenpressung folgt eine lange Spontangärung sowie der Ausbau auf den Feinhefen im Stahltank.
Adrians Weingut
Oberflachs/AG
Preis: Fr. 19.00
adrians-weingut.ch
Der Riesling-Sylvaner vom Thaler Buchberg wird regelmässig aus-gezeichnet. Seit Jahren gehört der Cru von Roman Rutishauser zu den besten Weinen dieser Rebsorte. Je nach Jahrgang un-terscheiden sich die Weine in Nuancen. Mal ist der Duft von Blüten und süssem Pfirsich ausgeprägter, mal die Noten von Zitrusfrüchten und Kräutern. Spritzig und lebendig in der Jungend erlangt der Wein mit zunehmender Reife an Tiefe und entwickelt Noten von Petrol – so wie der Elternteil Riesling.
Roman Rutishauser
Thal/SG
Preis: Fr. 15.20
rutishauser-weingut.ch
Der Rebberg Feldmarschall von Fenner liegt auf 1000 Meter über Meer. Dort auf einer leicht geneigten, nach Süden ausgerichteten Terrasse gedeihen auf drei Hektar die höchstgelegenen Müller-Thurgau-Reben. Intensive Sonneneinstrahlung, kühle Nächte und warme Tage sorgen für ein breites Aromenspektrum. Dieses erinnert an Jasmin, Pfirsich, Aprikose, Eisenkraut, Kamille und kandierte Zitrone. Auf das frische Säurespiel folgt ein vielschichtiger Körper mit salzigen Noten im Abgang.
Tiefenbrunner
Kurtatsch (IT)
Preis: Fr. 56.00
globalwine.ch
tiefenbrunner.com
Vermutlich sind die meisten Flaschen dieses Jahrgangs bereits ausgetrunken. Wie beim jungen Wein duftet das Bouquet auch beim gereiften Wein nach Holunderblüten und Zitrusfrüchten. Dazu kommen Noten von Tonic mit Gurke. Im Gaumen gibt sich der jugendliche Wein frühlingshaft frisch. Beim gereiften Müller-Thurgau ist die saftige Säure mit fruchtsüssem Pfirsich unterlegt. Tannine einer grünen Birne verleihen ihm Rückgrat und Tiefe. Reife Trauben hallen lange nach. Das Warten hat sich gelohnt!
Martin Wolfer
Weinfelden/TG
Preis: Fr. 17.00
wolferwein.ch
Drei Generationen der Familie Kress bewirtschaften 32,5 Hektar Reben in Überlingen am Bodensee. Für die trockene Variante des Müller-Thurgau liefern mehr als 30 Jahre alte Rebstöcke solide Qualität. Die Lese erfolgt ausschliesslich in Handarbeit. Der junge Wein duftet nach Pfirsich, Birne und Kräutern wie Verveine und Fenchel. Er besitzt eine animierende Frische mit kräuterwürziger Strenge und salziger Länge. Er animiert zum Aperitif und passt zu Vorspeisen sowie Bodenseefisch.
Weingut Kress
Überlingen (DE)
Preis: Euro 11.40
weingut-kress.de
Das Weingut Clauss befindet sich in Nack, im südbadischen Grenzgebiet zwischen Schaffhausen und Zürich, nach dem Rheinfall drei Kilometer flussabwärts. Der Müller-Thurgau wird spontan im Tonneau vergoren, gereift und unfiltriert abgefüllt. Bei diesem Wein steht die Würze im Vordergrund: Pfirsich, Aprikose, frische Kräuter und Fenchel. Kraft und Fülle am Gaumen machen den Müller-Thurgau Réserve zum perfekten Begleiter von grilliertem Salzwasserfisch oder weissem Geflügel.
Familie Clauss
Nack (DE)
Preis: Euro 15.50
weingutclauss.de
Eine Sonderausstellung im Museum Vineum Bodensee in Meersburg (DE) beleuchtet die Hintergründe des Rebenschmuggels von 1925 und gibt Einblicke in die Weinregion vor 100 Jahren. Auch ausserhalb der Sonderausstellung ist das «Vineum» ein sehr attraktives Weinmuseum.
Der bislang verschlossene historische Weinkeller öffnet seine Türen. In einer multimedialen Inszenierung erleben Gäste die faszinierende Geschichte des Weins am Bodensee. Über die Region hinaus bekannt, wurde der Arenenberg durch Königin Hortense und ihren Sohn, den späteren Kaiser Napoleon III. von Frankreich. Sie wählten das Schlossgut im Jahr 1816 für ihr Exil und verbrachten 30 Jahre ihres Lebens am Bodensee. Einflüsse aus dem Thurgau setzte Kaiser Napoleon III.in seinem Reich um. Der Arenenberg beherbergt auch das landwirtschaftliche Kompetenzzentrum des Kantons Thurgau. Das frisch renovierte Hotel steht zudem auch Individualreisenden offen.
arenenberg.ch
napoleonmuseum.ch
Im Jubiläumsjahr (100 Jahre Müller-Thurgau-Schmuggel, 800 Jahre Spitalkellerei Konstanz) macht das Netzwerk Bodenseegärten «Garten und Wein» zum Thema. Mildes Klima und Leidenschaft für die Natur liessen grossartige Sammlungen verschiedenster Pflanzen und Bäume entstehen. Beispiele sind der Arenenberg, Schloss Hahnberg in Berg/SG, die Insel Mainau, die Kartause Ittingen oder neu das Hotel Seegut Zeppelin in Friedrichshafen (DE).