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Unterschätzte Wertschätzung

Corona hat uns gezeigt: Nichts ist selbstverständlich und bisher Gewöhnliches, Alltägliches wird plötzlich geschätzt. Ein guter Grund, einmal über Wertschätzung zu sprechen.

  • Trinkgeld ist eine Art, wie Gäste ihre Wertschätzung für eine Dienstleistung ausdrücken. Ein herzliches Lob oder eine handgeschriebene Dankeskarte bleiben jedoch meist viel länger in Erinnerung. Bilder Keystone-SDA/ZVG
  • Roni Merz: «Wertschätzung motiviert und ist ein wichtiger Teil unserer Firmenkultur.» (ZVG)
  • Claudia Züllig: «Wichtig ist, aufs Bauchgefühl und aufs Herz zu hörgen und das Gehörte auch zu leben.» (ZVG)
  • Sepp Barmettler: «Keine Floskeln. Lieber weniger Worte, dafür erhliche und persönliche.» (ZVG)
  • Angela Tauro: «Das Arbeitsklima lässt sich sehr wohl an Fluktuation und Krankkeitstagen erkennen.» (ZVG)
  • Dorothee Bürgi:«Wertschätzung ist ein Ja zur Person.» (ZVG)

Die letzten Monate waren sehr fordernd. Wirtschaftlich, gesellschaftlich und emotional. Bei all den Schwierigkeiten, die es als Folge der Corona-Pandemie zu meistern galt und gilt, hat Covid-19 auch den einen oder anderen positiven Nebeneffekt gebracht. Das zeigen unter anderem die Antworten der vierzig Nominierten für den Gastrostern-2020-Award.

Auf die Frage, ob sie aus der Corona-Situation etwas Positives für sich ziehen können, sagte die Mehrheit der Nominierten sinngemäss: «Mir ist bewusst geworden, was mir wirklich wichtig ist. Ich habe auf vieles einen neuen Blick gewonnen, und es gibt etliches, das ich erst jetzt oder noch mehr schätze als vor dem Lockdown.» Diese neue Wertschätzung bringen die Befragten fast ausschliesslich immateriellen Dingen entgegen wie:

  • sich uneingeschränkt frei bewegen und reisen zu können
  • mehr Zeit mit Familie und Freunden  zu verbringen
  • gesund zu sein
  • Zeit für sich selbst zu haben
  • arbeiten zu dürfen

Letzteres nicht nur aus finanziellen Gründen. Wieder Kontakt mit Gästen, Lieferanten und Arbeitskollegen zu haben, war von gleicher, wenn nicht sogar grösserer Bedeutung. Einfach auch wieder eine Aufgabe zu haben, wurde wieder vermehrt geschätzt.

Stärkere Verbundenheit

Einige der Befragten gaben an, nun selber auch mehr Wertschätzung für ihre Arbeit zu erfahren. Dies sowohl von Vorgesetzten oder Untergebenen wie auch von Arbeitskollegen und -kolleginnen. Das gemeinsame Durchstehen einer schwierigen Zeit verbindet. So berichten etliche der Befragten davon, dass sie und ihre Arbeitskollegen als Team enger zusammengewachsen seien. Vor allem aber falle auf, dass die Gäste die erbrachten Dienstleistungen wieder mehr wertschätzten. Dies zeige sich in persönlichen Gesprächen, im E-Mail- und Chat-Verkehr oder an höherem Trinkgeld.

Dankbarere Gäste

«Wir nehmen tatsächlich wahr, dass das Gastgebertum wieder vermehrt geschätzt wird», sagt Claudia Züllig. Zusammen mit ihrem Mann führt sie das Hotel Schweizerhof Lenzerheide. Vor Corona, so die Gastgeberin, sei vieles selbstverständlich gewesen. Schon die kleinste Abweichung von einer Dienstleistung, zum Beispiel eine fehlende Brotsorte beim Frühstück, sei deshalb von den Gästen als grosses Manko erachtet worden. Im Unterschied dazu sei nun wieder vermehrt die Dankbarkeit der Gäste zu spüren.

Diese Beobachtung hat auch Roni Merz in seinen Bäckereien und Restaurants in Chur gemacht. Allerdings glaubt der Geschäftsleiter nicht, dass dieser Effekt von Dauer ist. «Veränderungen waren vor allem in den ersten Wochen nach dem Lockdown spürbar. Der Mensch bleibt Mensch und fällt relativ schnell wieder in alte Gewohnheiten zurück.»

Wertschätzung ist wie Liebe

Die Eigenschaft, schnell zum Gewohnten zurückzukehren, hilft Menschen, nach Krisen rasch wieder auf die Beine zu kommen. Dennoch wäre es schön, wenn das vermehrte Wertschätzen auch nach Corona erhalten bliebe.

Zum Glück ist es mit Wertschätzung wie mit Liebe. Je grosszügiger man sie verteilt, desto stärker vermehrt sich Wertschätzung. Zu dieser Vermehrung müssen hauptsächlich Chefs im Interesse ihrer Unternehmen beitragen, findet Jürg Balsiger. Für den Direktor der Stanserhorn-Bahn steht fest: «Mitarbeitende können erst dann wertschätzend mit Gästen umgehen, wenn sie selbst Wertschätzung erfahren.» Doch was ist Wertschätzung eigentlich, und wie wird sie in der Praxis gelebt? Eine Psychologin sowie Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedenen Bereichen der Gastronomie und des Tourismus geben Auskunft und erzählen aus ihrem Alltag.

(Riccarda Frei)

Claudia Züllig, Hôteliere Hotel Schweizerhof Lenzerheide

Sie ist seit 30 Jahren Gastgeberin im Hotel Schweizerhof Lenzerheide und Wertschätzung ein fester Bestandteil ihrer Führungskultur. «Das Allerwichtigste», so die Hôtelière, «ist, dass mein Mann und ich im Hotel aktiv mitarbeiten und so den Mitarbeitenden zeigen, dass wir ihre tägliche Arbeit wertschätzen.» Zudem gäbe es nichts Einfacheres, als Danke zu sagen. Wie im «Schweizerhof» Wertschätzung gelebt wird, zeigt sich bereits bei Vorstellungsgesprächen. Jobanwärter werden zum Probearbeiten gebeten und eingeladen, als Gast im Hotel zu essen und zu übernachten. «So erleben zukünftige Mitarbeitende, wie sich unsere Gäste fühlen.» Das ist nur eine von unzähligen Möglichkeiten, Mitarbeitenden Wertschätzung entgegenzubringen, findet Claudia Züllig. Als weitere Beispiele nennt sie einen spontanen Glace-Plausch fürs Team nach einem strengen Tag oder ein  handgeschriebenes Kärtchen für einen Mitarbeitenden, der einem am Herzen liegt. Claudia Züllig freut sich, dass auch sie und ihr Mann immer wieder einmal Zeichen der Wertschätzung seitens ihrer Mitarbeitenden erhalten. «Am schönsten sind für uns die Komplimente der Mitarbeitenden, die wir indirekt durch unsere Gäste übermittelt bekommen.» Zum Beispiel wenn ihr Gäste erzählten, wie glücklich und zufrieden die Mitarbeitenden wären und wie offen und positiv sich diese über das Hotel als Arbeitsort äusserten. «Das macht uns natürlich stolz und zeugt  auch von Vertrauen – eine weitere wichtige Komponente der Wertschätzung.» Eine ebenso schöne Anerkennung ist es, dass ehemalige Mitarbeitende gerne in den Schweizerhof Lenzerheide zurückkehren. Sei es um wieder hier zu arbeiten, für einen kurzen Besuch oder ihre Hochzeit zu feiern.


Angela Tauro, Leiterin HR ZFV-Unternehmungen

Angela Tauro ist Mitglied der Geschäftsleitung und Chief Human Resources Officer CHRO bei den ZFV-Unternehmungen. Rund 2800 Personen arbeiten in den 203 von den ZFV geführten Betrieben. «Als CHRO kann ich ohne mein Team nicht erfolgreich sein. Ich  schätze die unterschiedlichen Stärken und vermittle dies auch sehr bewusst», sagt Angela Tauro.  Um einfach mal Danke zu sagen, lade sie ab und zu spontan zu einer Runde Pizza ein oder überrasche das Team mit einem Frühstück. «Wertschätzung sollte im Betriebsalltag immer wieder stattfinden», findet Angela Tauro. Bereits aufmunternde Worte und kurze Gespräche würden einen grossen Unterschied machen. Damit die Betriebsleiter nicht nur Worte, sondern auch Taten sprechen lassen können, steht ihnen ein Budget zur Verfügung. Sie dürfen damit Einzelleistungen honorieren und Team-Events durchführen. Diese Form der Wertschätzung wird auch über das ganze Unternehmen hinweg gelebt. «Unsere jährlichen Festivitäten wie Personalfest, Dienstjubilarenfeier, Pensionierten-Treff sowie interne Sportevents untermauern, dass uns unsere Mitarbeitenden wichtig sind», sagt Angela Tauro. Zudem erhalten Mitarbeitende an Ostern, Weihnachten und zum Geburtstag ein Präsent. «Es gibt Mitarbeitende, die diese Goodies sehr schätzen und sie nicht als selbstverständlich ansehen.» Natürlich gäbe es auch die anderen. In Bezug auf die Wertschätzung seitens der Mitarbeitenden hat Angela Tauro Unterschiede zur Zeit vor Corona bemerkt. «Aufgrund der Kurzarbeit und teilweisen vorübergehenden Einstellung der Betriebe haben Mitarbeitende festgestellt, wie wichtig ihnen ihr Arbeitsumfeld, die Gäste sowie ihre Kolleginnen und Kollegen sind.»


Roni Merz, Bäckerei-Unternehmer Merz Fertigungs AG

Roni Merz ist Vorsitzender der Geschäftsleitung und Mitinhaber der Merz Fabrikations AG. Das Bäckerei- und Gastronomieunternehmen verfügt über drei Restaurants sowie zehn Bäckerei-Filialen in Chur und Umgebung. Für Roni Merz ist die Wertschätzung der Mitarbeitenden mehr als nur eine Frage der finanziellen Entlöhnung. «Wertschätzung hat mit emotionaler Belohnung und Bindung zu tun», sagt er. «Sich auf Augenhöhe begegnen und einander wertschätzen sind wichtige Teile unserer Firmenkultur.» Jede Meinung und Idee aus den Reihen der Teams sei wichtig und solle eingebracht werden. Der gelernte Bäcker ist überzeugt: «So entsteht im Idealfall ein grosses Miteinander, welches an holokratische Führungssysteme erinnert und die Wertschätzung jedes Einzelnen fördert.» Merz ist ein Familienbetrieb, der in dritter Generation von Roni Merz und seinen Schwestern geführt wird. «Wir versuchen, die wichtigen Grundsätze einer gut funktionierenden Familie – Vertrauen, Offenheit, Toleranz und Ehrlichkeit – zu leben und als gute Beispiele voranzugehen.» Roni Merz ist bewusst, dass die erfolgreiche Entwicklung und Expansion des Betriebs ohne mehrheitlich glückliche Mitarbeitende nicht möglich gewesen wäre. Deshalb ist es ihm sehr wichtig, die Stimmungen in den einzelnen Abteilungen wahrzunehmen und bei Unstimmigkeiten sofort das Gespräch zu suchen. Die Anliegen der Mitarbeitenden ernst zu nehmen und sich darum zu kümmern, ist eben auch ein Zeichen von Wertschätzung. Ganz uneigennützig ist dieses Vorgehen allerdings nicht. Der clevere Unternehmer weiss: «Wertschätzung motiviert, und motivierte Mitarbeitende tragen unsere Unternehmensphilosophie positiv nach aussen.»


Sepp Barmettler, Gästebegleiter Stanserhorn-Bahn

Die Stanserhorn-Bahn wurde in den letzten Jahren mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Unter anderem für ihre freundlichen Mitarbeitenden. Einer von ihnen ist Sepp Barmettler. Er ist seit 2012 als Gästebegleiter tätig. Wie die meisten Stanserhorn-Mitarbeitenden ist auch er in einem Teilzeitpensum angestellt. Dennoch fühlt er sich emotional eng mit dem Unternehmen verbunden. Das kommt nicht von ungefähr. «Jedes Jahr findet vor dem Saisonstart ein ganztägiges Infoseminar statt. Vom Verwaltungsrat bis zum Lehrling und über alle Dienstzweige hinweg. Da beginnt das Feuer der Begeisterung zu lodern», sagt Sepp Barmettler. Dieses Jahr wurde der Anlass coronabedingt aber nicht durchgeführt.
Ein wichtiges Zeichen der Wertschätzung ist für Sepp Barmettler, die Mitarbeitenden offen und ehrlich zu informieren. Auch wenn die Situation für einen Betrieb schwierig und der Verlauf der Saison ungewiss ist. Gerade für Teilzeitangestellte sei es wichtig zu wissen, warum sie keinen Einsatz haben. Neben klarer Information ist für Sepp Barmettler auch auf- richtiges  Lob ein mächtiges Wertschätzungstool. «Am wichtigsten ist es, den Mitarbeitenden gemäss seinen Fähigkeiten zu loben und ihm echten Beifall zu zollen. Es dürfen nicht bloss leere Floskeln sein, sondern persönliche Worte des Lobes und der Wertschätzung. Lieber nicht zu viel loben, dafür aber ehrlich und persönlich», rät der Gästebegleiter. Er ist überzeugt: «Wenn die Arbeit geschätzt wird, ist die Motivation der Mitarbeitenden viel höher, und das ist im Betrieb auch spürbar.» Etwas, das ebenfalls auf die Mitarbeitenden und den Spirit im Unternehmen abfärbe, sei das Verhalten der Vorgesetzten. «Der Chef wird wertgeschätzt, wenn er sein Werteideal selber vorlebt.»


Dorothee Bürgi: «Wertschätzung ist ein Ja zur Person»

HGZ: Oft wird Wertschätzung materiell ausgedrückt. Jedoch zeigen Studien*, dass Geld nur ein kurzfristiger Motivator ist. Warum reichen Trinkgeld, Bonus oder Lohnerhöhung als Wertschätzung nicht aus?
Dorothee Bürgi: Belohnung oder Lob ist Anerkennung von Leistung auf der Verhaltensebene. Im Unterschied dazu ist Wertschätzung die Bejahung der Person auf der Identitätsebene. Jeder Person steht ein leistungsunabhängiger Selbstwert zu und deshalb muss man sich Wertschätzung auch nicht verdienen. Für Lob und Anerkennung hingegen muss man etwas tun.

Demnach ist Wertschätzung eine Frage der Kultur im Unternehmen?  
Ja. Mitarbeitende sind mehr als funktionierende Leistungsträger. Sie wollen – wie alle Menschen – als Individuen gesehen und geschätzt werden. Das beginnt schon damit, dass man einander mit dem Namen anspricht und nicht bloss als Kategorie. Wie  etwa zum Beispiel «die von der Réception», «die aus der Küche»  oder «die vom Service». Zu einer Wertschätzungskultur gehört auch, dass alle im Betrieb einander hierarchieunabhängig Respekt entgegenbringen. Hier sind vor allem die Führungskräfte gefragt, indem sie Respektlosigkeiten sofort ansprechen und korrigieren.


Zur Person

Dorothee Bürgi, PhD,  ist Psychologin und Buchautorin mit den Schwerpunkten Leadership und Coaching. Sie ist Geschäftsführerin ihrer eigenen GmbH in Zürich und berät Firmen und Einzelpersonen.
www.dorothee-buergi.ch


*Eine dieser Studien stammt von Yoon Jik Cho und James L. Perry. Die beiden US-amerikanischen Wissenschaftler haben  die Leistungsbereitschaft von über 200 000 Beschäftigten untersucht. Dabei fanden sie heraus, dass intrinsische Motivatoren (z. B. Spass im Team, Sinnhaftigkeit) dreimal so stark wirken wie extrinsische Motivatoren (z. B. materielle Anreize).