Experten aus Labor und Backstube präsentierten neueste Erkenntnisse rund um Brot und Sauerteig.
Woran liegt es, dass das tägliche Brot seinen Stellenwert verliert? Dass es für Verdauungsprobleme und Glutenunverträglichkeit verantwortlich gemacht wird? Mit diesen Fragen eröffnete Reto Fries, Direktor der Fachschule Richemont, den ersten internationalen Sauerteigkongress in Luzern. Fachleute aus ganz Europa gaben den 342 Teilnehmern aus 15 Ländern Antworten auf diese Fragen.
«Seit 60 Jahren werden regionale Weizensorten von Varietäten mit hohem Ertrag verdrängt», sagte Francisco Barro vom Institut für nachhaltige Landwirtschaft (IAS-CSIC) in CÓrdoba (E). «Neben dem Ertrag wurde bei der Selektion auf die Backeigenschaft geachtet. Dabei sind vor allem die Proteine (Gluten) von Interesse. Glutenine, etwa fünf Prozent der Proteine, sorgen für elastische Teige. Die rund 95 Prozent Gliadine sind zuständig für Konsistenz und Zähigkeit.» Gliadine sind hauptverantwortlich für Zöliakie. Eine Nebenrolle bei der Zucht spielten Vitamine, Mineralstoffe, natürliche Antioxidantien, Pflanzenfasern sowie der Geschmack. Francisco Barro empfiehlt deshalb die Verwendung von Vollkornmehl und das Mischen von Weizenmehl mit verschiedenen Getreidesorten. Hafer ist reich an Fasern, Antioxidantien und entzündungshemmenden Komponenten. Roggen enthält viele Vitamine, und Beta-Glucane in der Gerste können den Cholesterol-Gehalt im Blut senken. Auch Pseudogetreide wie Quinoa, Buchweizen und Soja sind wertvoll, und sie enthalten kein Gluten.
Heinrich Beck von Beck a Beck im deutschen Römerstein verarbeitet seit 2011 nur noch Bio-Getreide. Er arbeitet mit Landwirten zusammen, die alte Getreidesorten anbauen. Er fordert die Teilnehmer auf, vermehrt direkt mit Getreideproduzenten und Müllern zusammenzuarbeiten.
Elke Arendt von der Universität Cork in Irland untersuchte die ernährungsphysiologischen Eigenschaften von Getreideprodukten mit Sauerteig. «Mit einem Anteil von zwei bis drei Prozent Sauerteig im Brot kann der Salzgehalt auf die Hälfte reduziert werden», sagte sie. Durch die Reduktion des Salzkonsums können Herz-Kreislauf-Erkrankungen vermieden werden. Gemäss Elke Arendt ergibt ein Blätterteig für Gipfeli bessere Ergebnisse mit einem Sauerteiganteil von fünf bis zehn Prozent als ohne oder einem Anteil von mehr als 20 Prozent. Zudem ist Sauerteig ein Konservierungsstoff, der Brot länger frisch hält und es vor Schimmelbefall schützt.
Probiotische Bakterien im Sauerteig und lange geführte Teige bauen Proteine ab. Das macht solche Brote leichter verdaulich als viele der Beilagen, die normalerweise zu Hauptgerichten serviert werden.
Karl de Smedt von der Sauerteig-Bibliothek im belgischen St. Vith pflegt 115 Sauerteige aus 20 Ländern – zwei davon aus der Schweiz. Die Entdeckung der Hefen durch Louis Pasteur und die darauffolgende industrielle Produktion von Zuchthefen habe das Bäckergewerbe grundsätzlich verändert. Luftiges, hefegetriebenes, kurz geführtes und rasch trockenes Brot sei heute Industriestandard. «Sauerteig verleiht dem Brot seine Ursprünglichkeit», erklärte de Smedt. «Bei Wein würde man von Terroir sprechen.»
Carlo Rizzello von der Universität Bari (I) forscht an Sauerteigen auf der Basis von Leguminosen. Zusammen mit Mehl aus glutenfreiem Getreide ergeben diese schmackhafte Brote für Zöliakie-Patienten.
Eine flammende Abschlussrede für Brot vom Bäcker hielt Michael Kleinert. Dem Professor an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft ist aufgefallen, dass Wein in einer sehr blumigen Sprache beschrieben wird. «Beim Brot dagegen heisst es meist nur ‹schmeckt gut›. Deshalb haben wir im Jahr 2009 ein Aromarad für Brot erstellt.» Über 300 verschiedene Düfte, Aromen und Geschmäcke sind so zusammengekommen.
Zusammen mit Bernd Kütscher, ebenfalls Referent am Sauerteigkongress, hat er das Buch «Die Sprache des Brotes» herausgegeben. Das Werk beschreibt, wie Brotqualität erkennbar ist und der Genuss beschrieben werden kann. Bäckermeister und Verkäuferinnen, die dieses Vokabular im Laden anwenden, werden für Brot begeistern.
(Gabriel Tinguely)