Domestiken, die namenlosen Gäste zweiter Klasse

Gäste und Gastgeber – heute sind die Rollen in der Hotellerie klar. Das war nicht immer so. Es gab eine vielschichtige Zwischenwelt.

Von den Bediensteten der Gäste waren Chauffeure als «Bad Boys» verschrien. Daher wollten Hoteldirektoren sie nicht in der Nähe der eigenen Angestellten haben und liessen extra Garagen mit Unterkünften für die Fahrer bauen. (Hotelarchiv)

Richard Wagner checkte 1865 mit zwei Bediensteten (Kammerdiener und Kopist) in ein Hotel in La Tour-de-Peilz/VD ein. Igor Strawinsky nahm seine Familie, die Amme und das Kindermädchen auf seine Schweizreise mit. Und Kaiserin Sisi hatte neben Kammerzofen und Hofdamen ihren Griechischlehrer im Gefolge. Während die Namen dieser Bediensteten bekannt sind, tauchen in den alten Büchern (Mains courantes) der Grand Hotels viele namenlose Begleitpersonen auf. Sie stellten eine eigene gesellschaftliche Klasse dar, die im Hotel in einer Zwischenwelt lebte.

Evelyne Lüthi-Graf, Historikerin und Geschäftsleiterin Hotelarchiv Schweiz, erklärt: «Die Mains courantes hatten drei Spalten: Maître, Enfant, Domestique. In der ersten wurde der Namen des Gastes eingetragen. In die beiden anderen Spalten schrieb man die Anzahl seiner Kinder sowie die Anzahl seiner Bediensteten.»

Personal mit Standesdünkel

In der Regel brachte eine Familie zwei bis vier Domestiken mit. Immer dabei waren eine Zofe für die Madame sowie eine Nanny oder ein Lehrer für die Kinder. Manchmal reisten auch ein Sekretär oder Butler und später, als es Auto- mobile gab, ein Chauffeur mit.$«Es gab Hotels, die damit warben, über ausreichend gut qualifiziertes Personal zu verfügen, so dass die Gäste ihre Bediensteten getrost zu Hause lassen konnten», sagt Evelyne Lüthi-Graf. Das sparte dem Gast Reise-, Verpflegungs- und Unterbringungskosten für seine Entourage. Das Hotel konnte dafür höhere Zimmerpreise verlangen und sich allfälligen Ärger mit fremdem Dienstpersonal ersparen.

Die Dienstboten der Gäste fühlten sich den Hotelangestellten überlegen und liessen es diese auch spüren. Das führte zu Konflikten. Auch deshalb richteten grössere Häuser für das Dienstpersonal der Gäste separate Essräume ein. Ein weiterer Grund war, dass die Konsumationen der Domestiken nun klar erfasst und ihren Dienstherren auf die Rechnung gesetzt werden konnten.

Selbst unter den Bediensteten gab es Standesunterschiede. Art und Ort ihrer Unterbringung zeigte, welchen Status die Domestiken einnahmen und welchem Geschlecht sie angehörten. Bedienstete, die aufgrund ihrer Aufgaben rasch und jederzeit einsatzbereit sein mussten, wurden in der Nähe ihrer Arbeitgeber untergebracht. Zum Beispiel schliefen sie in einem kleinen Nordzimmer, welches nur eine Flurbreite von der nach Süden ausgerichteten Suite der Herrschaft entfernt lag. Entbehrlichere Domestiken wurden entweder in einem Seitentrakt des Hotels einquartiert oder bei den Hotelangestellten.

Frauen schlafen unterm Dach, Männer neben der Küche

Ob hoteleigene Mitarbeitende oder Angestellte der Gäste, geschlafen wurde auf strikt nach Geschlechtern getrennten Etagen. Diese sollten, um Liebeleien wie auch unerwünschte Übergriffe zu unterbinden, möglichst weit auseinander liegen. So wurde das weibliche Personal gerne in Kammern unterm Dach und männliches Personal im Souterrain zwischen Küche und Lagerräumen untergebracht. War ein Hotel nicht so weitläufig, hausten alle auf einer Etage. Diese war allerdings in einen Frauen- und einen Männertrakt unterteilt, die durch eine Tür getrennt wurde. Den Schlüssel dazu hatte nur die Gouvernante. Es war ihre Aufgabe, die Tür über Nacht zu verriegeln.

Unter dem Dienstpersonal hatten die Chauffeure einen sehr schlechten Ruf. Einerseits, weil sich zu Beginn des Automobilzeitalters nur besonders verwegene Kerle ans Steuer setzten, andererseits wegen ihres Lebenswandels. Chauffeure hatten zwar eine lange Präsenzzeit, aber diese bestand hauptsächlich aus Warten. Das verkürzten die Chauffeure sich gerne mit Trinken und Glücksspielen. Oder sie stellten den Dienstmädchen nach.

Chauffeure wurden ausquartiert

So ein Verhalten sahen die Hoteldirektoren natürlich nicht gern. Sie befürchteten, dass die Chauffeure das streng geführte Hotelpersonal mit ihrem lockeren Lebenswandel anstecken könnten. Um die Disziplin im Haus nicht zu gefährden, griffen die Hoteliers zu einer List. Sie liessen für die Autos der Gäste extra Garagen bauen. Diese standen ganz bewusst etwas abseits des Hotels. Da die Autos in der Regel nur für die An- und Abreise genutzt wurden, störte sich die Herrschaft nicht an der Entfernung. Zumal sie ihre Vehikel ja gut behütet wussten. Denn der fürs jeweilige Fahrzeug zuständige Chauffeur war in einem Zimmer direkt über der Garage untergebracht. Offiziell konnten die Hoteliers den Gästen so eine tolle, neuartige Dienstleistung für ihre Autos anbieten. Inoffiziell hatten sie das leidige Chauffeurenthema elegant und diplomatisch gelöst. Ganz nebenbei erfanden sie damit auch gleich die ersten Motels.

(Riccarda Frei)