Bäckereien im Gegenwind: zwischen Wandel und Chancen

Ist das «Bäckerei-Sterben» real? Tatsächlich schliessen jedes Jahr Dutzende kleinere Bäckereien, denen oft eine Nachfolge fehlt. Gleichzeitig belasten steigende Kosten und die Konkurrenz der Grossverteiler das traditionelle Bäckerhandwerk. Doch so düster, wie es klingt, ist die Lage nicht.

Fast wöchentlich schliesst in der Schweiz eine Bäckerei. Ein Trend, der in den Medien als «Bäckerei-Sterben» Schlagzeilen macht. Doch bedeutet diese Entwicklung tatsächlich das Ende der traditionellen Bäckereibetriebe? Die Realität ist vielschichtig. Zwar stehen viele Kleinbetriebe unter Druck, zugleich gelingt es engagierten Unternehmern, mit überarbeiteten neuen oder bewährten Konzepten, erfolgreich zu bestehen.

Ein Blick in die Statistiken des Schweizerischen Bäcker-Confiseurmeister-Verbandes SBC zeigt: In der Schweiz müssen jedes Jahr rund 50 bis 80 Bäckereien-Confiserien aufgeben. Häufig fehlt eine Nachfolgelösung für Familienbetriebe, oder es mangelt an Fachkräften. Modelle wie Mentoring, Betriebskooperationen oder Förderung junger Gründerinnen und Gründer helfen, den Generationenwechsel gut zu meistern.

Ebenfalls haben steigende Kosten bei Rohstoffpreisen oder Stromtarifen für Öfen und Kühlanlagen die knappen Margen weiter geschmälert. Dazu kommt, dass Grossverteiler und Tankstellenshops mit billigen Aufbackbrötchen den Betrieben Konkurrenz machen. Gerade Dorfbäckereien finden so immer schwerer genügend Kundschaft: Laut SBC-Präsident Silvan Hotz reichten früher 100 Kunden pro Tag, heute müssten es 300 bis 500 sein, damit sich ein Laden noch lohnt. «Deshalb ermutigen wir unsere Mitglieder, zurück zu den Wurzeln des Handwerks zu gehen und damit zu punkten: weniger Zusatzstoffe, dafür längere Gärzeiten und mehr Aroma – wie beim klassischen Sauerteigbrot.» Wenn die Kundschaft diesen Mehraufwand erkenne, sei sie laut Hotz auch bereit, etwas mehr für ein gutes Brot zu bezahlen. So würden Konsumentinnen und Konsumenten nicht nur die lokale Wirtschaft unterstützen, sondern auch den Erhalt eines jahrhundertealten Kulturguts. Denn das Brot ist mehr als nur ein Nahrungsmittel. Es ist ein Stück Identität, das es zu bewahren gilt.

Auch auf Arbeitnehmerseite muss es stimmen

Wie in vielen Handwerksberufen ringt auch die Bäckerbranche um den Berufsnachwuchs. So ging die Zahl der Lernenden in der Bäckerbranche über die letzten Jahre durchschnittlich leicht zurück. Gemäss Zahlen der Richemont Fachschule ist sie 2025 in den Produktionsberufen wieder von 491 (in 2024) auf 499 gestiegen. Es gibt junge Leute, die das Image vom Bäckerhandwerk mit Nachtarbeit abschreckt, obwohl innovative Betriebe zeigen, dass es auch anders geht. So erlauben neue Arbeitszeitmodelle vermehrt Tagesschichten. Zum Beispiel wird mit langer Teigführung und Sauerteig gearbeitet, sodass nicht jeder Bäcker um zwei Uhr morgens aufstehen muss. Diese flexiblen Einsatzzeiten sind familienfreundlich und machen den Beruf für den Nachwuchs wieder attraktiver.

Neben solchen betrieblichen Innovationen sind auch branchenweite Verbesserungen nötig, vor allem, wenn es um Löhne und Wertschätzung für das Handwerk geht. «Damit der Beruf für Bäckerinnen und Bäcker langfristig attraktiv bleibt, braucht es planbare Arbeitszeiten, Entwicklungsperspektiven und bessere Rahmenbedingungen in den Betrieben», sagt Stefan Kogler, Geschäftsführer des Berufsverbands Bäckerei & Confiserie. Hier setzt der neue Gesamtarbeitsvertrag GAV an, der für die Bäckerei-, Konditorei- und Confiserie-Branche seit Mitte 2025 gilt. «Wir haben es geschafft, für bessere Bedingungen zu sorgen», so Roger Lang, Leiter Recht, Sozialpolitik und Kampagnen bei der Hotel & Gastro Union. Er verhandelte den GAV aufseiten der Angestellten und betonte, man wolle einen Vertrag, der die Branche im Kampf um Mitarbeitende konkurrenzfähiger macht. Mit anderen Worten: Es muss kontinuierlich an substanziellen Verbesserungen gearbeitet werden. Lang und seine Vertragspartner konnten erreichen, dass Mindestlöhne wenigstens die Teuerung ausgleichen. Dieser Kompromiss ist ein wichtiges Signal: «Bessere Arbeitsbedingungen und fairere Löhne könnten mehr Junge für den Beruf begeistern und erfahrene Fachkräfte im Gewerbe halten», so Pirmin Corradini, Präsident des Berufsverbands Bäckerei & Confiserie. «Der wirtschaftliche Druck darf nicht einfach nach unten weitergegeben werden. Stattdessen braucht es transparente Kommunikation und Effizienz statt Mehrbelastung.» So würden digitale Tools etwa für Einsatzplanung, Bestellwesen oder Trendanalysen auf Basis von Kassendaten dazu beitragen, die Prozesse zu optimieren.


«Die Berufe haben Zukunft – wenn wir sie zukunftsfähig gestalten.»

Stefan Kogler, Geschäftsführer Berufsverband Bäckerei & Confiserie


Andere Blickwinkel einnehmen

Inmitten turbulenter Zeiten entstehen aber auch neue Konzepte und spannende Nischen. Drei Unternehmer zeigen, wie sich das Bäckerhandwerk neu denken lässt. Was sie eint, sind Klarheit, Konsequenz und der Wille, über den Tellerrand hinauszudenken. Claudia Vernocchi ergänzt die Perspektive des Arbeitgeberverbands. Die Beispiele zeigen, dass es viele Gründe gibt, den Kopf nicht in den Sand zu stecken, sondern mit kräftigem Kneten die Zukunft des Handwerks zu formen.

(Andrea Decker)


Bakery Bakery AG & Outlawz Food AG: Kevin Schmid

«Wir haben uns entschieden, eine Marke zu bauen, nicht nur eine Bäckerei.»

Innerhalb weniger Jahre hat sich Bakery Bakery als vegane Bäckerei mit klarer Haltung und Mut zur Nische einen Namen gemacht. Nicht trotz, sondern wegen ihrer konsequent modernen Positionierung. Mitgründer und CEO Kevin Schmid und sein Team haben sich früh gegen Handwerksromantisierung und für ein wirtschaftlich tragfähiges Konzept entschieden. «Wir verbinden Effizienz mit einer klaren Botschaft. Unsere Standorte, unser Sortiment, unser Auftritt: Alles ist Teil einer konsistenten Markenstrategie.

Dort sein, wo die Leute sind

Die Hochfrequenzlagen der Filialen in Bern, Basel, Zürich und Winterthur sind dabei kein Zufall. Die Strategie ist, dort zu sein, wo Leben ist. Hinzu kommen drei Säulen, auf denen für Schmid alles steht: «Wir kümmern uns um unser Team, um unsere Werte und um unsere Zielkundschaft – vom Sortiment bis zur Rekrutierung. Besonders deutlich wird das bei der klaren veganen Ausrichtung: «Wir wollen nicht alle Menschen erreichen, und das ist gut so. Diese Haltung ist Teil unserer Identität.» Die bewusste Abgrenzung und die klare Zielgruppendefinition schaffen ein starkes Profil und eine treue Kundschaft. «Die Community bauen wir durch authentisches und echtes Marketing sowie viele Events laufend auf und stärken sie.» Trotz grosser Herausforderungen im HR-Bereich, etwa bei der Rekrutierung, ist Bakery Bakery auf Wachstumskurs: Über 3000 Bewerbungen allein 2024 sprechen eine deutliche Sprache. Die Kombination aus Sinn, Struktur und Offenheit für Neues zahlt sich aus – auch wirtschaftlich.

Sein Rat an traditionelle Betriebe? «Weniger Angst vor Veränderung. Früchte brauchen Zeit, um zu wachsen, aber sie gedeihen nur, wenn man sie überhaupt sät.»


Konditorei Buchmann AG: Dominique Buchmann

«Das Handwerk wird immer bleiben, aber es muss sich stetig weiterentwickeln.»

Dominique Buchmann führt mit seiner Schwester Isabelle die Konditorei Buchmann AG mit drei Standorten in Baselland. Er hat in den letzten Jahren einen Wandel erlebt. «Das Kaufverhalten hat sich verändert. Take-away ist wichtiger denn je: Zmorge, Znüni, Zmittag, Zvieri und sogar Znacht. Die Menschen wollen sich unkompliziert verpflegen.» Auch die Kundenfrequenz schwankt stärker, was die Planung aufwendiger mache. Um als Bäckerei bestehen zu können, brauche es vor allem Mut zur Innovation. «Wir entwickeln laufend Produkte. Und höhere Preise lassen sich nur über Qualität rechtfertigen.» Eine grosse Hilfe sei die konsequente Auswertung der Kassendaten: «So erkennen wir frühzeitig, was gefragt ist und wohin sich Trends entwickeln. Was nicht läuft, fällt raus aus dem Sortiment.»

Verzettelung funktioniert nicht

Die Spezialisierung spielt bei Buchmanns eine zentrale Rolle. «Es wird immer schwieriger, als Bäckerei, Konditorei, Confiserie und Café in allen Bereichen gleichzeitig Höchstleistungen zu erbringen. Deshalb fokussieren wir uns gezielt auf stark nachgefragte Bereiche, vor allem im Take-away, und entwickeln unser Sortiment stetig weiter.» Gleichzeitig sei die Digitalisierung ein zentraler Zukunftsfaktor, gerade im Bestell-wesen, auch wenn die Einführung aufwendig sei. Auch schwierige Momente gab es: «Steigende Betriebs- und Personalkosten, gesetzliche Vorgaben wie neue Kältemittel – das sind Investitionen, die wir über unsere Preise abfedern müssen.» Gleichzeitig wollen die Buchmanns in die Zukunft investieren. Sie denken über eine neue, moderne Produktionsstätte nach, welche die Nachtarbeit reduzieren, die Arbeitsbedingungen verbessern und die Qualität steigern soll


Bäckerei Bread Love: Christian Aeby

«Qualität und Zugewandtheit – das ist unser einziger Weg zum Erfolg.»

Christian Aeby ist ein ehemaliger Schweizer Filmregisseur und Werbefilmer, der mit über 60 Jahren seine Karriere aufgab und sich dem Brotbacken widmete. Aeby: «Ich bin Quereinsteiger und vielleicht gerade deshalb besonders sensibel für die Veränderungen in der Branche.» Mit «Bread Love» betreibt er in Basel, Bern, Luzern und Berlin (DE) eine Holzofenmanufaktur und erkennt selbst, wie herausfordernd der Markt für kleine Betriebe geworden ist. Sein Modell ist eine Nische: Er produziert handgemachtes Sauerteigbrot mit langer Fermentation und ohne Hilfsmittel. Er backt im Holzofen. Diese kompromisslose Qualität ist sein Alleinstellungsmerkmal und zugleich seine Überlebensstrategie. Er erlebt den Druck, der viele kleine Bäckereien trifft, durchaus mit. Steigende Kosten, wenig Personal, hoher Erwartungsdruck und Kunden, die heute alles wollen: Transparenz, Frische, Preisfairness. Für ihn ist klar: «Wer klein ist, muss etwas bieten, das es sonst nicht gibt.»

Nische für Erfolg finden

Die Zusammenarbeit mit der gehobenen Gastronomie brachte Bread Love ein langsames, aber solides Wachstum. Krisen gab es viele. Als Quereinsteiger fehlte ihm oft der Überblick, doch gerade sein unbefangener Blick führte zu Lösungen, die traditionelle Betriebe vielleicht nicht gesucht hätten. Beziehungen entstehen für ihn nicht über Kundenbindungsprogramme, sondern über echte Begegnungen und einen klaren Wertekompass. Sein Fazit zur aktuellen Lage: Viele kleine Betriebe stehen unter Druck – aber wer Spezialität, Haltung und Persönlichkeit verbindet, kann bestehen. Sein Rat an junge Bäckerinnen und Bäcker: Aus Liebe zum Produkt arbeiten, neugierig bleiben und der Welt mutig zeigen, wofür man steht.


Schweizerischer Bäcker-Confiseurmeister-Verband SBC: Claudia Vernocchi

«Wir verzeichnen auch viele Mitglieder, die erfolgreich unterwegs sind.»

SBC-Vizedirektorin Claudia Vernocchi unterstützt den Begriff «Bäckereisterben» nicht. Doch es stimme, dass der Verband jährlich 50 bis 80 Mitglieder verliere. Dies unter anderem wegen Konkurs, fehlender Nachfolge, Personalmangel, steigender Kosten, verändertem Konsumverhalten, zunehmendem administrativem Aufwand und Veränderungen in der Region. Dazu gehören das Aufheben von Parkplätzen und der Wegzug von Läden. Die Herausforderungen in der Branche seien laut Vernocchi gross. In vielen Quartieren würden die Lebensmittelläden sowie die Bäckereien-Confiserien schliessen, weil die Kundschaft ausbleibe. Zudem herrsche unter den Grossverteilern ein Verdrängungskampf: «Oft werden Brot und Kleinbackwaren dabei als willkommenes Marketingmittel verwendet, wie jüngste Beispiele zeigen.»

SBC bietet breite Unterstützung

Doch von einem flächendeckenden Verschwinden der Betriebe könne keine Rede sein – die Zahl der Filialen bleibe stabil. Zudem zählt der Verband jedes Jahr 30 bis 40 neue Mitglieder, die Betriebe übernehmen oder gründen. Die Vielfalt der Mitgliedsbetriebe reicht von der Kleinst-Chocolaterie zum mittelgrossen Unternehmen mit Gastronomieanteil. Die Dienstleistungspalette des SBC sei gross: Aus- und Weiterbildung, juristische Beratung, politisches Engagement, Beratungstätigkeit und Marketing-Kommunikation. Als relativ kleiner Verband sei der SBC zudem auf politischer Ebene ausgezeichnet vernetzt. Unter anderem könne auf die Zusammenarbeit mit der parlamentarischen Gruppe «Brot und Confiserie» gezählt werden. Auf regionaler und lokaler Ebene seien die Kantonalund Regionalverbände im Einsatz und würden das Netzwerk mit den Mitgliedern pflegen.


Zahlen und Fakten

Die Zahl der Lernenden in der Produktion ist im Jahr 2025 leicht gestiegen – von 491 (im Jahr 2024) auf 499.

Seit 2025 gilt eine Deklarationspflicht: Backwaren müssen klar angeschrieben sein, damit Kundinnen und Kunden deren Herkunft erkennen können.

Jedes dritte Brot wird beim «Beck» gekauft. Grossverteiler, Discounter oder Tankstellen verkaufen den Rest.

Vor 25 Jahren gab es in der Schweiz 2500 Bäckereien. Derzeit zählt der Verband etwas mehr als 1200 Mitglieder.

161 000 Tonnen Fertigteige wurden laut Datenbank Swiss-Impex im letzten Jahr importiert. Das sind 50 Prozent mehr als vor zehn Jahren.