Heisse Ideen sind gefragt

So heiss wie diesen Sommer soll es künftig regelmässig werden. Welche Probleme treten damit auf? Wie sind sie zu lösen?

  • Die anhaltende Trockenheit setzte den Böden diesen Sommer arg zu. Wer keine Bewässerungsanlage hatte, geriet in Not. (Unsplash)
  • Trauriges Bild: Diese Fische, zumeist Äschen, wurden am 6. August tot aus dem Rhein gezogen und landeten in der Entsorgungstonne. (Keystone)

Ich hätte niemals zu träumen gewagt, dass wir einen solchen Glückstreffer landen», jubelt Pascal Jenny. Der Kurdirektor von Arosa ist einer der ganz grossen Gewinner des Sommers 2018. Ein Bär und die Hitze machen es möglich. Acht Jahre ist es her, als Jenny mit der Planung des Projekts Bärenland Arosa begann. Auf einer Fläche von 2,8 Hektaren will Arosa Bären mit trauriger Lebensgeschichte einen schönen Lebensabend ermöglichen. Und nun ist er da: Am 4. Juli erreichte der zwölfjährige Napa, eine Mischung aus europäischem Braunbär und Eisbär, via Transporter-Fahrt und Gondel das neu geschaffene Bärenland. Die Zeit als Zirkusbär in Serbien hat er hinter sich. Nun kommt er in den Schweizer Bergen zur Ruhe. Und dient fortan ohne Showeinlagen als wirksamer Zuschauermagnet.

Dass der Bär ausgerechnet in einem so heissen Sommer eintreffen würde, damit konnte Jenny nicht rechnen. «Er beschert uns nun eine enorme Wertschöpfung und führt uns zu Rekordwerten», erzählt der Kurdirektor. «Die Zunahmen sind in allen Bereichen zweistellig. Wir sind sehr zufrieden. Bereits heute kann man sagen, dass es auf der Ebene der Ersteintritte am Berg den wohl besten August aller Zeiten geben wird. Bärenland und Hitze haben mit Blick auf das Gäste-Aufkommen perfekt harmoniert.

Auch in Zermatt durften sich die Hotels und Gastronomiebetriebe über regen Zulauf freuen. «Der warme und trockene Sommer wirkt sich sehr positiv auf die Sommersaison aus», sagt Simona Altwegg, Medienverantwortliche Zermatt Tourismus. Man spüre, dass sehr viele Gäste Abkühlung in den Bergen suchen. «In der laufenden Saison verzeichnen wir ein Plus von 8,5 Prozent bei den Übernachtungen und von zehn Prozent bei den Bergbahnen. Auch die Gastronomie zeigt sich erfreut über die Auslastung.»

Ertragreiche Apfelbäume, vertrocknete Getreidefelder

Doch nicht alle in den Branchen Hotellerie, Gastronomie und Tourismus profitieren vom ausserordentlichen Wetter. Die extreme Hitze und die anhaltende Trockenheit verursachten in den Schweizer Gewässern ein Fischsterben. Alleine im Rhein verendeten drei Tonnen Äschen. Sie fielen den hohen Wassertemperaturen und dem fehlenden Sauerstoff zum Opfer. Und während etwa Apfelbauern  nach einem schwachen 2017 in diesem Jahr sagenhafte 168 000 Tonnen Tafel- und 117 000 Tonnen Mostäpfel ernten – beide Werte liegen weit über dem Durchschnitt der letzten Jahre – stöhnen Getreide-, Mais- und Rapsanbauer über die Dürre auf den Feldern. Gemüsebauern, die nicht mit professionellen Bewässerungsanlagen ausgerüstet waren, gerieten in Notstand.

Küchenchefs mussten von ihren Lieferanten oft vertröstet werden: aufgeplatzte Kohlrabi, verbrannte Salate, fauler Blumenkohl und Broccoli zwangen die Köche zum Improvisieren.

ETH Zürich: klare Tendenz zu wärmeren Temperaturen

Besonders alarmierend: Laut Experten wird dieser heisse, trockene Sommer kein Einzelfall bleiben. «Es ist eine klare Tendenz zu wärmeren Umgebungstemperaturen erkennbar», hält Cyril Brunner vom Institut für Atmosphäre und Klima an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) fest. «Die letzten Jahre zeigen einen Trend zu mehr Extremen: Die südliche Grenze der kühlgemässigten Zone verschiebt sich etwas nach Norden über die Alpen. Hitzetage, Frosttage und Trockenheit nehmen zu.»

Es gilt also, als Touristiker, Hotelier und Gastronom künftige Probleme zu erkennen und nach Lösungen zu suchen. Ob sich etwa die Fischbestände in den hiesigen Seen und Flüssen wieder erholen, ist noch unklar. Andreas Vögeli, Jagd- und Fischereiverwalter des Kantons Schaffhausen, glaubt gar ans Aussterben der Äsche in der Schweiz, wie er in den «Schaffhauser Nachrichten» erklärt: «Mir scheint es unausweichlich, dass die Äsche der erste Fisch sein wird, der wegen des Klimawandels verschwindet.» Mittelfristig sei der Kampf nicht zu gewinnen.

Trauben sollen künftig frühmorgens gelesen werden

Und im Rebbau? Kann die Pinot-Noir-Traube, die die kühlen Nächte und warmen Tage liebt, die meistgepflanzte rote Rebsorte der Schweiz bleiben? «Manche glauben, man müsse künftig umpflanzen und Merlot und Cabernet Sauvignon anbauen. Doch das stimmt nicht», beschwichtigt der Bündner Spitzenwinzer Georg Fromm, «das Wetter kommt dem Pinot Noir weiterhin entgegen.» In Zukunft müsse man die Trauben allerdings entweder frühmorgens lesen oder nach der Lese herunterkühlen. «Ansonsten sind sie zu warm und gären schnell.»

Wie es um den Pflanzenbau steht, schreiben Annelie Holzkämper und Jürg Fuhrer in ihrem Bericht für Agroscope, dem Kompetenzzentrum des Bundes für landwirtschaftliche Forschung: «Die globale Erwärmung verändert die Bedingungen für den Pflanzenbau. Mit der Klimaerwärmung dehnt sich die geeignete Anbaufläche in höheren Lagen aus und nimmt in tieferen Lagen längerfristig ab.»

Gibt es bald schon Olivenbäume in der Schweiz?

Sandra Helfenstein, Kommunikationsleiterin beim Schweizer Bauernverband, zeigt sich lösungsorientiert: «Um alle Kulturen behalten zu können, müssen wir uns darauf einrichten, dass wir in den zunehmenden Zeiten der ausgeprägten Trockenheit bewässern können.» Längerfristig können sich laut Helfenstein vielleicht gar neue Kulturen etablieren. «Wie die Aprikosen, die es heute in der ganzen Schweiz gibt. Früher stammten sie praktisch nur aus dem Wallis. Bekannte südländische Kulturen wie Olivenbäume wird unsere Generation sicher nicht mehr erleben, dafür sind die Winter bei uns zu frostig.»

Helfenstein ruft indes zur verstärkten Zusammenarbeit zwischen der Hotellerie- und Gastronomiebranche und der Landwirtschaft auf. «Wir sitzen alle im gleichen Boot und sollten die Herausforderungen gemeinsam angehen. Der diesjährige Sommer zeigt, dass wir das besser früher als später in Angriff nehmen.»

Auch wenn die Klimaerwärmung nicht zu verhindern ist, appelliert Tobias Zihlmann, gelernter Koch und Gründer der Plattform Diversitas, über die er Gastronomen und Produzenten zum Wissensaustausch zusammenkommen lässt, an die Verantwortung der Köche: «Der CO2-Ausstoss muss reduziert werden. Kurze Transportwege, erneuerbare Energie, rezyklierbare Verbrauchsmaterialien anstatt Plastik – das müsste jedem Koch klar sein. Zudem verursacht der Fleischkonsum beträchtliche Schadstoff-Emissionen.» Darauf macht Atmosphären- und Klima-Experte Cyril Brunner aufmerksam: «Vor allem Rindfleisch ist suboptimal.»

Arosa: Künftig ist der Sommer ebenso wichtig wie der Winter

Während sich laut Zihlmann viele Köche noch immer kaum Gedanken über die Folgen des Klimawandels machen, hat bei den Touristikern die Zukunft bereits begonnen. «Arosa ist längst nicht mehr nur eine Winterdestination», erklärt Kurdirektor Jenny. «Abgesehen vom Bärenland haben wir uns als Biker-Paradies etabliert. Der Sommer soll mittel- und langfristig eine gleich hohe Bedeutung wie der Winter kriegen.» Als Ferienort gelte es übrigens, darauf zu achten, trotz breiterer Angebotspalette den Charme des kleinen, ländlichen Ortes zu wahren.

Während Jenny glaubt, dass Arosa auch künftig schneesicher sein wird, sorgt sich Simona Altwegg um die Verhältnisse in Zermatt. Denn auf den Walliser Gletschern wird nicht nur im Winter Ski gefahren, sondern ganzjährig. «Was man schon heute beobachten kann und weiter anhalten wird, ist die Gletscherschmelze. Irgendwann wird man auch in Zermatt nicht mehr 365 Tage im Jahr Ski fahren können. Auch schmelzender Permafrost und mehr Wetterextremitäten sind ein Thema.»

Zermatt: grosser Pluspunkt trotz Schneeproblem im Sommer

Doch Altwegg will künftige Veränderungen nicht als Probleme ansehen. «Wir sind innovativ. Veränderungen eröffnen neue Möglichkeiten. Zum Beispiel kühle Ferien oder Schnee-Erlebnisse für Menschen, die noch nie Schnee gesehen haben.»

Ein weiterer Pluspunkt für Zermatt: Die Gemeinde ist seit 1931 autofrei und positioniert sich mit den Elektromobilen damit klar als nachhaltige Destination. Ein Argument, das mit dem steigenden Umweltbewusstsein der Gäste immer stärker an Bedeutung gewinnt. Altwegg: «Man setzt sich hier laufend mit dem Thema auseinander. So bieten wir beispielsweise im September eine Klimawanderung mit dem Klimaexperten David Volken an. Er führt Gäste entlang der Moräne des Findelgletschers und erklärt, wie vergangene Klimaschwankungen die Landschaft geformt haben und zeigt auf, was der Klimawandel für die Zukunft der Zermatter Bergwelt bedeutet.»

Der Klimawandel ist nur noch eine Frage des Ausmasses. Wer ihm aber früher und ideenreicher – etwa mit autofreiem Ferienort, plastikfreier Küche oder intensivem Austausch mit Produzenten – entgegentritt, ist für die Veränderungen gerüstet. Und kann so auch heisse Sommer ganz cool angehen.

(Benny Epstein) 


Mehr Informationen unter:

www.meteoschweiz.admin.ch


 

Zahlen und Fakten

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