Wie steht es um den Landes-Gesamtarbeitsvertrag?

Seit bald drei Jahren sind die Verhandlungen für einen neuen Landes-Gesamtarbeitsvertrag (L-GAV) blockiert. Ein Zustand, der unbefriedigend ist und dem Gastgewerbe und dessen Ruf als interessantem Arbeitgeber schadet. Dabei wären gerade jetzt Zusammenhalt und Imagepflege wichtig.

  • Die Hotel & Gastro Union vertritt als eine der Arbeitnehmerorganisationen bei den L-GAV-Verhandlungen die Interessen der Angestellten im Gastgewerbe. Je mehr Gastgewerbler den Berufsverbänden beitreten und damit die Position der Hotel & Gastro Union stärken, desto mehr Gewicht erhält diese Berufsorganisation als Verhandlungspartner. (Illustration Pierina Bucher)
  • Der L-GAV für das Gastgewerbe bietet Vorteile, von denen andere Branchen nur träumen können. Möglich gemacht haben das die Mitglieder der Hotel & Gastro Union sowie vorausschauende Arbeitgeber, die Fachkräfte in der Branche halten wollen.
  • Roger Lang ist Leiter Rechtsdienst sowie Mitglied der Geschäftsleitung der Hotel & Gastro Union.

Die Hotel & Gastro Union ist einer der Sozial­partner, die jeweils gemeinsam den Landes-Gesamtarbeitsvertrag (L-GAV) für das Gastgewerbe aushandeln. Seit bald drei Jahren sind die Verhandlungen aber unterbrochen.

Verantwortlich dafür ist Gastrosuisse, einer der Sozialpartner auf der Arbeitgeberseite. Auf die Fragen, warum Gastrosuisse die Verhandlungen auf Eis gelegt hat und was passieren müsste, damit das Eis schmilzt, hat der Rechtsdienst von Gastrosuisse mit folgendem Statement geantwortet: «Die L-GAV-Verhandlungen sind nach wie vor blockiert aufgrund Bestrebungen gewisser Gewerkschaften hinsichtlich kantonaler und neu sogar auch kommunaler Mindestlöhne. Hier wird von den Gewerkschaften eine nicht legitime Doppelstrategie geführt, mit welcher die sozialpartnerschaftlichen Vereinbarungen im L-GAV ausgehebelt werden sollen. Dies ist nicht akzeptabel und gefährdet letztlich den L-GAV.»

Zwar nennt Gastrosuisse die «gewissen Gewerkschaften» nicht beim Namen, doch es darf verraten werden, dass es sich dabei NICHT um die Hotel & Gastro Union handelt.

Richtiger Ansatz, falscher Weg

«Die Befürchtung von Gastro­suisse, dass kantonale Mindestlöhne statt die im L-GAV vereinbarten gelten sollen, ist nachvollziehbar. Aber der eingeschlagene Weg ist es nicht», findet Roger Lang. Der Leiter Rechtsdienst bei der Hotel & Gastro Union erklärt: «Das von Gastrosuisse angesprochene Thema lässt sich nicht auf Ebene der Sozialpartner lösen, denn es ist ein politisches Problem. Es muss daher bei den Kantonen und Gemeinden angegangen werden und nicht durch Blockieren der L-GAV-Verhandlungen.»

Auch Hotelleriesuisse sieht die Lösung des Problems auf politischer Ebene. «In den Kantonen müssten die allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsverträge, die in der Branche verhandelte Mindestlöhne kennen, vom Geltungsbereich kantonaler Initiativen ausgenommen werden», sagt Karin Sieber, Fachspezialistin Kommunikation bei Hotellerie­suisse. Sie betont: «Der L-GAV ist ungleich mehr als die Mindestlöhne. Er legt die Arbeitsbe­dingungen in der Branche fest, ohne staatliche Einmischung und im Konsens der Sozialpartner. Hotelleriesuisse steht hinter dieser Sozialpartnerschaft.»

In die Zukunft denken

Gerade mit Blick auf die Folgen der Pandemie und des Fachkräftemangels, die dem Gastgewerbe schwer zu schaffen machen, wäre eine Wiederaufnahme der L-GAV-Verhandlungen ganz im Sinne der Hotel & Gastro Union und von ­Hotelleriesuisse. Karin Sieber bringt es auf den Punkt: «Es ist immer sinnvoll, wenn man vorausdenkt und die Branche für zukünftige Entwicklungen gut aufstellt.»

Zwar hoffen alle Beteiligten, dass der L-GAV nicht, wie von Gastrosuisse angedeutet, in Gefahr ist, aber was wäre, wenn doch? Roger Lang stellt sich im nachfolgenden Interview unter anderem dieser Frage.

HGZ: Die Hotel & Gastro Union, Hotelleriesuisse sowie weitere Sozialpartner möchten einen L-GAV-losen Zustand vermeiden. Wie stehen die Chancen, dass sich die Vertreter von Gastro-suisse auch wieder an den Verhandlungstisch setzen?
Roger Lang: Das müssen Sie Gastrosuisse fragen. Ob dieser Arbeitgeberverband die Verhandlungen wieder aufnimmt oder allenfalls den L-GAV sogar kündigt, hängt ganz davon ab, ob Gastrosuisse die Probleme in der Branche, insbesondere den Mangel an Mitarbeitenden und Lernenden, anerkennt und aktiv daran mitarbeiten möchte, mittels L-GAV einen Teil zur Lösung beizutragen.

Was würde passieren, wenn der L-GAV wegfiele?
Ohne Landes-Gesamtarbeitsvertrag wären alle Errungenschaften wie der Mindestlohn, die fünfte Ferienwoche und der 13. Monatslohn nicht mehr gewährleistet. Selbstverständlich stünde es den Betrieben und Mitarbeitenden offen, diese Errungenschaften in Einzelarbeitsverträgen fortzuführen.

Wie stünde es um die Aus- und Weiterbildung?
Die massive finanzielle Unterstützung von Aus- und Weiterbildungen würde wegfallen. Die Lernwilligen müssten die Kosten für Berufsprüfungslehrgänge wie früher selber berappen.

Gibt es noch weitere Nachteile?
Mit dem Wegfall des Landes-Gesamtarbeitsvertrages würde auch die Kontrollstelle aufgelöst. Das würde die Gefahr von Lohndumping massiv erhöhen. Ein Umstand, den vor allem die Arbeitnehmenden in den Grenzstädten und -regionen zu spüren bekämen.

«Gäbe es keinen L-GAV mehr, würden den Angestellten 73 Vorteile verloren gehen.»

Roger Lang, Leiter Rechtsdienst, Hotel & Gastro Union


Der L-GAV regelt, wie hoch der Mindestlohn ist. Wer würde das bestimmen, wenn es keinen L-GAV gäbe? Der Bund, wie er es gemäss Abstimmung vom 28. November für die Pflege-berufe tun soll?
Diese Frage kann nicht mit Gewissheit beantwortet werden, da der Bund selbst entscheidet, ob und wie er tätig wird. Grundsätzlich gibt es ohne L-GAV keinen Mindestlohn mehr. Eventuell würde der Bund in einem Normalarbeitsvertrag auch Mindestlöhne erlassen.

Im Gastgewerbe herrscht Fach-kräftemangel. Dadurch haben die Angestellten beim Aushandeln individueller Arbeitsverträge einen enormen Verhandlungs-vorteil. Braucht es da den L-GAV überhaupt noch?
Ja, auf jeden Fall. Denn es herrscht nicht nur ein Fachkräftemangel, sondern auch ein allgemeiner Personalmangel. Und dies in diversen Branchen und international. Das Schweizer Gastgewerbe kann also nicht mehr so einfach auf Arbeitskräfte aus anderen Ländern zurückgreifen wie früher. Wer jetzt nicht für faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen in unserer Branche einsteht, macht etwas falsch.

Wie können Arbeitnehmende sich für gute Arbeitsbedingungen in der Branche einsetzen?
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder man kämpft für sich alleine oder man schliesst sich einer Berufsorganisation wie der Hotel & Gastro Union an, die sich im Namen und mit der Unterstützung ihrer Mitglieder im Rücken unermüdlich für gute Löhne und zeitgemässe Arbeitsbedingungen einsetzt.

Was würde die Auflösung des L-GAV für die bestehenden Arbeitsverhältnisse heissen?
Bereits abgeschlossene Arbeitsverträge würden weiter bestehen bleiben, so wie sie jetzt sind. Es bestünde aber die grosse Gefahr, dass Arbeitgeber versuchen könnten, über Änderungskündigungen verschlechterte Arbeitsbedingungen durchzusetzen.

Was würde ein L-GAV-loser Zustand für die Angestellten sonst noch bedeuten?
Insgesamt würden für sie 73 Vorteile wegfallen. Die wichtigsten Vorteile sind der bereits erwähnte Mindestlohn, die bezahlten Aus- und Weiterbildungen und die fünfte Ferienwoche. Doch auch der Anspruch auf einen 13. Monatslohn wäre weg. Zudem würde sich die maximale Arbeitszeit wieder auf 50 Stunden pro Woche erhöhen. Auch wäre eine Krankengeldversicherung nicht mehr obligatorisch. Im Fall einer Krankheit gäbe es nur noch eine Lohnfortzahlung durch den Arbeitgeber nach Anzahl Dienstjahren. Im ersten Dienstjahr wären beispielsweise nur drei Wochen gesichert, nicht wie heute 720 Krankheitstage.

Natürlich hoffen wir, dass der L-GAV bestehen bleibt und die Sozialpartner einen Konsens finden. Doch wenn sich diese Hoffnung nicht erfüllt, wann könnte ein vertragsloser Zustand frühestens eintreten?
Der Landes-Gesamtarbeitsvertrag kann grundsätzlich von jedem der Sozialpartner gekündigt werden. Und zwar jeweils auf Mitte oder Ende eines Jahres. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Monaten. Der früheste derzeit mögliche Kündigungstermin wäre somit per 31. Dezember 2022. Sollte dieser Fall eintreten, wäre der L-GAV vom 1. Januar 2023 an nicht mehr in Kraft.

(Interview Riccarda Frei)


Zur Person

Roger Lang ist Leiter des Rechtsdienstes der Hotel & Gastro Union in Luzern. Er nimmt für diese Berufs­organisation an den L-GAV-Verhandlungen teil und vertritt die Interessen ihrer Mitglieder und damit auch aller Arbeitnehmenden im Gastgewerbe.


Wichtige Vorteile des L-GAV, die bei einer Vertragsauflösung wegfallen würden

Mindestlöhne
Fr. 3477.– (ohne Berufsausbildung) Fr. 4920.– (mit Berufsprüfung) Ohne L-GAV:keine branchengeregeltenMindestlöhne

13. Monatslohn
wird garantiert Ohne L-GAV:kein 13. Monatslohn

Versicherung Krankheit/Unfall
Taggeldversicherung bis 720 Tage unabhängig von Dienstjahren Ohne L-GAV:beschränkte Lohnfortzahlung nach Dienstjahren

Arbeitszeit
max. 42 Stunden (Normalbetrieb) max. 43.5 Stunden (Saisonbetrieb) max. 45 Stunden (Kleinbetrieb) pro Woche Ohne L-GAV:max. 50 Stunden pro Woche

Ferien
5 Wochen Ohne L-GAV:4 Wochen

Aus- und Weiterbildung
(fast) kostenlos Ohne L-GAV:keine finanzielle Unterstützung

Branchen­wettbewerb
Verpflichtung aller Betriebe zu gleichen minimalen Lohn- und ­Arbeitsbedingungen Ohne L-GAV: keine Verpflichtung zu gleichen ­minimalen Lohn- und Anstellungs­bedingungen