Täglich sorgt die Kontrollstelle des L-GAV dafür, dass dieser eingehalten wird. Dabei ist von den Inspektoren viel Fingerspitzengefühl gefragt.
Ein typischer Arbeitstag? «Den gibt es nicht», sagt Andreas Geiser. Er ist Senior-Inspektor der L-GAV-Kontrollstelle und Teil eines zwölfköpfigen Teams, das täglich die Ein- haltung des landesweiten Gesamtarbeitsvertrags des Gastgewerbes sicherstellt. Geisers Arbeitstag beginnt mit einem Blick auf seinen Laptop, wo die Klagen wegen Verstössen gegen den L-GAV in Echtzeit hereinkommen. 30 Tage hat er Zeit, um diesen nachzugehen und den entsprechenden Betrieb zu besuchen. Hinzu kommen die von der Aufsichtskommission vorgeschriebenen Stichproben und Nachkontrollen bei Verstössen. «Eine der grössten Herausforderungen meines Berufs ist die Planung», so Geiser. «Ich muss die hereinkommenden Klagen ständig beobachten und meinen Tag entsprechend organisieren.» Die Arbeit als Kontrolleur erfordert Flexibilität: Den Drucker hat Andreas Geiser immer dabei, damit er bei neuen Meldungen sofort reagieren kann und alle Unterlagen dabei hat. Gibt es in einem Gebiet einen Engpass, springen die Kontrolleure füreinander ein. «Zum Glück haben wir sehr viele langjährige Mitarbeitende, so dass das Teamwork sehr gut funktioniert», so Geiser, der selbst seit 17 Jahren bei der Kontrollstelle tätig ist.
Die Kontrollen laufen ganz unterschiedlich ab. Bei Stichproben werden fixe Punkte wie die Einhaltung der Mindestlöhne, das Vorhandensein einer Arbeitszeiterfassung und die korrekte Auszahlung des 13. Monatslohns kontrolliert. Wird ein Verstoss entdeckt, wird die Kontrolle vertieft. «Welche Bestimmungen nicht eingehalten werden, ist je nach Betriebsart ganz unterschiedlich», sagt Andreas Geiser. Tendenziell gebe es jedoch am meisten Verstösse in den Bereichen Arbeitspläne und Arbeitszeiterfassung. Grundsätzlich nehmen die Verstösse bei den Stichprobenkontrollen seit der Jahrtausendwende aber kontinuierlich ab.
Was hingegen zunimmt, ist die Anzahl Klagen, die bei der Kontrollstelle erfasst werden. Diese können von Arbeitnehmern, Verbänden und neu auch von den Kantonen eingereicht werden, müssen allerdings immer klare Forderungen enthalten. Hier müssen die Inspekteure abklären, ob diese berechtigt sind oder nicht. Fünf Tage vor der Kontrolle melden sie sich beim Betrieb schriftlich an, damit dieser alle Unterlagen parat hat und beim Besuch keine Zeit unnötig verloren geht. Immer wieder fordert das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco unangemeldete Kontrollen – diese findet Andreas Geiser allerdings wenig sinnvoll. «Es nützt nichts, wenn ich in einem Betrieb vorbeikomme und der Geschäftsführer gar nicht da ist oder wichtige Unterlagen fehlen», erklärt er. Zudem ist er überzeugt, dass die Chance verschwindend gering ist, innert fünf Tagen grobe Verstösse zu vertuschen: «Wäre das möglich, würden wir ja gar keine Verstösse mehr finden. Und dem ist definitiv nicht so.»
Neben der täglichen Organisation der Termine ist die Herausforderung der L-GAV-Inspektoren vor allem eine psychologische. «Wir sind keine Polizisten, sondern in erster Linie Berater», sagt Andreas Geiser. «Das Ziel der Kontrollstelle ist nicht, möglichst viele Sanktionen auszusprechen. Im Gegenteil, wir möchten den Betrieben aufzeigen, was sie besser machen können und so die Einhaltung des L-GAV gewährleisten. Letztlich sind wir die Vermittler zwischen den Arbeitnehmenden und den Arbeitgebern.»
Die Arbeit als Inspektor erfordert dann auch viel Fingerspitzengefühl: «Jemandem nur zu sagen, was er falsch macht, nützt gar nichts. Das Gegenüber muss spüren, dass wir nicht in erster Linie kontrollierend, sondern vor allem unterstützend da sind. Dann klappt die Zusammenarbeit.» In den meisten Fällen wird daher bei kleineren Verstössen auch nicht sofort sanktioniert, sondern erst einmal eine Verwarnung ausgesprochen. So hat der Betrieb Zeit, den Verstoss zu beheben und eine Busse zu vermeiden. Ausnahmen sind fehlende Sozialversicherungen, mangelnde Arbeitszeiterfassung oder wiederholte Verstösse – diese werden sofort geahndet. Die Bussen dafür betragen 200 Franken pro Person, die vom Verstoss betroffen ist. Im Wiederholungsfall reichen die Bussen von 600 bis maximal 20 000 Franken.
Das System funktioniert: «Unsere Erfolgsquote ist sehr hoch», sagt Hansjürg Moser, Direktor der L-GAV-Kontrollstelle. «Mehrheitlich schaffen wir es, dass der Arbeitgeber nicht auf stur stellt, sondern unsere Anweisungen und Ratschläge umsetzt.» Auf besonders positive und negative Erlebnisse angesprochen, beruft sich Moser auf die Schweigepflicht: «Was bei den Kontrollen konkret geschieht, wird nicht nach aussen getragen.» Nur so viel: «Es gibt nichts, was es nicht gibt.» Von der Einladung zum Mittagessen oder der Flasche Wein als Bestechungsversuch bis zum Geschäftsführer, der die Kontrolleure gar nicht erst in seinen Betrieb hineinlässt, haben die Inspektoren schon alles erlebt. «Das ist wie in jeder Branche, es gibt ganz weisse, aber auch ganz schwarze Schafe», so Moser. Dazwischen liegt die grosse Mehrheit, die den L-GAV nach bestem Wissen und Gewissen umsetzt.
Damit die Kommunikation mit den Gastronomen auf Augenhöhe stattfindet, haben alle Inspektoren einen gastgewerblichen Hintergrund. So ist Seniorinspektor Andreas Geiser beispielsweise gelernter Koch und hat die Hotelfachschule Thun absolviert. «Ich weiss, dass es in einer Küche heiss und fettig ist und dass man an Samstagen lange arbeitet», sagt er. Diese Erfahrung sei entscheidend: «Wir müssen die alltäglichen Probleme kennen, mit welchen die Gastronomen zu kämpfen haben.» Denn: «Wenn die Gastronomen sich von uns verstanden fühlen, sind sie eher bereit, mit uns zusammenzuarbeiten. Das ist wichtig, um die Kontrollen zügig und effektiv durchführen zu können.»
Um noch mehr Verstösse frühzeitig zu vermeiden, werden seit 2017 alle Brancheneinsteiger von der Kontrollstelle angeschrieben. So soll sichergestellt werden, dass sie den L-GAV kennen und sich bei Fragen an die richtige Stelle wenden. Denn während die Kontrolleure in den Betrieben unterwegs sind, nehmen die Angestellten am Sitz der Kontrollstelle in Basel telefonische und schriftliche Anfragen entgegen und erteilen neutrale Rechtsauskünfte.
Auf Wunsch kommt sogar ein Inspektor für eine Beratung bei einem neuen Betrieb vorbei. «Leider melden uns noch nicht alle Kantone neue Betriebe», bedauert Hansjürg Moser. Er ist überzeugt: Eine Beratung unmittelbar nach der Eröffnung eines Betriebes könnte viele Verstösse verhindern. Denn diese geschehen oft nicht aus Böswilligkeit, sondern weil die Betreiber sich zu wenig auskennen.
Dass der L-GAV für die Mitarbeitenden der Gastrobranche wichtig ist, liegt auf der Hand. Hansjürg Moser ist zudem davon überzeugt, dass auch die Arbeitgeber von dem verbindlichen Vertrag profitieren: «Ohne einen landesweiten Gesamtarbeitsvertrag wären die Gastronomen von regionalen Bestimmungen abhängig. Wenn Mitarbeiter quasi nur über die Strassenseite gehen müssen, um mehr zu verdienen, ist das nicht im Sinne der Gastronomen.»
Zudem vertreten zufriedene Mitarbeitende den Betrieb positiv nach aussen. «Letztendlich ist es doch so: Das Bier schmeckt in jedem Betrieb gleich. Die Gäste kommen wegen der Atmosphäre in ein Restaurant. Und die stimmt nur, wenn man motivierte Mitarbeitende beschäftigt», so Moser.
Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels haben Arbeitgeber ein Interesse an attraktiven Arbeitsbedingungen. Und nicht zuletzt profitieren Mitarbeitende dank des L-GAV von Subventionen für diverse Aus- und Weiterbildungen. Ihre Vorgesetzten erhalten so nicht nur mehr Know-how im Betrieb, sondern für die Ausfälle auch einen Lohnersatz. Eine Win-win-Situation also – ganz nach dem L-GAV-Motto: «Gut für alle».
(Angela Hüppi)
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