Mediadaten Données Media Olympiade der Köche

Wieso tun sich junge Köche das an?

Sechsteilige Serie «Die Jagd nach Punkten und Sternen» – Teil 2:
Warum junge Köche nach Punkten und Sternen greifen.

  • Cornelius Speinle (29) führt das «Dreizehn Sinne im Huuswurz» in Schlattingen TG. (ZVG)
  • Sven Wassmer (29) führt das «Silver» in Vals GR. (ZVG)
  • Punkte hier, Sterne da – doch was verbirgt sich hinter der zerbrechlichen Fassade? (swiss-image.ch / Andy Mettler)

«So viele Stunden, wie ich jetzt arbeite, das kann ich meinem Körper mit 40 nicht mehr antun», sagt Cornelius Speinle ganz unverblümt. Er ist 29-jährig und führt das Restaurant Dreizehn Sinne im beschaulichen Schlattingen, einer 1700-Seelen-Gemeinde im Kanton Thurgau. Nächte, in denen sich die Schlafenszeit auf fünf Stunden beschränkt, sind die Regel. «Das ist in der Spitzengastronomie die Regel», sagt er. Schwäche zeigen ist verboten. Aber weshalb tut sich ein junger Koch sowas an?

16 Punkte und die Auszeichnung zur Entdeckung des Jahres 2015 besitzt er von «GaultMillau». Von «Michelin» ist er mit einem Stern veredelt. Das «Dreizehn Sinne» ist eines der wenigen Restaurants auf diesem Niveau, das komplett unabhängig ist. Keine Sponsoren, keine Investoren. «Benoît Violier hatte eine Mannschaft von 50 Leuten für seine 50 Gäste. Das lässt sich nicht durch diese Gäste finanzieren. Alle grossen Sterne-Betriebe werden quersubventioniert oder gesponsert. Ich jedoch stehe auf eigenen Beinen. Aber selbst bleibt mir nicht viel. Wer in der Gastronomie Geld verdienen will, darf nicht vorne mitspielen.» Ehrliche, vielleicht ernüchternde Worte eines jungen Spitzenkochs, der es dank viel Herzblut, Schweiss und Talent schon sehr weit gebracht hat, aber dennoch erst am Anfang eines langen Weges steht.

Seit Februar Vater – Frau und Kind wohnen im Schwarzwald

«Ich arbeite ja wirklich gerne und liebe meinen Beruf», hält Speinle fest, «doch wir sind alle nur Menschen und keine Maschinen.» Von seiner Berufsklasse seien von ursprünglich zwanzig Kollegen nur noch deren zwei oder drei im Geschäft. «Ich habe Freunde, die Mitte zwanzig schon ein Burnout hatten.»

Die Auszeichnungen seien Fluch und Segen zugleich. «Je mehr Punkte und Sterne, umso mehr wird erwartet. Sie sind unsere beste Werbung und setzen gleichzeitig enormen Druck auf.» Über längere Frist müsse sich die Gastronomie schon Gedanken machen. «Vielleicht wäre ein Mental Coach wie im Sport eine Lösung. Bei manch einem Koch würde wohl der Besuch bei einem Psychologen helfen.»

Stress und Druck – Speinle weiss, wovon er spricht. Mit seinem Gourmet-Betrieb muss er seit kurzem eine Familie ernähren. Er und seine Frau Kirstin, die ihn zuvor im Restaurant unterstützte, wurden im Februar erstmals Eltern. Kirstin ist seither zu Hause. Zu Hause – das ist im Schwarzwald, zweieinhalb Stunden weg von Schlattingen. «Montags und dienstags habe ich frei. Dann sehe ich meinen Sohn.» Ansonsten bekocht und bedient er mit zwei Köchen und einem Serviceangestellten seine Gäste. «Zum Glück übernimmt meine Mutter die Buchhaltung und beantwortet E-Mails.» Ein gutes Umfeld daheim und bei der Arbeit sei das Wichtigste.

Kurz vor der Heirat steht ein anderer Jungstar der Schweizer Kochszene. Er ist mit Speinle befreundet und neben Nenad Mlinarevic das wohl grösste Aushängeschild der «Generation Caminada»: Sven Wassmer. Der Küchenchef des Restaurants Silver im Hotel 7132 Vals tritt mit seiner Amanda in der bevorstehenden Sommerpause in den Bund der Ehe ein. Sechs bis sieben Wochen Ferien stehen an, darunter die Flitterwochen in Singapur und Vietnam. «Ich freue mich riesig», verrät Wassmer. Zwei Wochen Ferien im Jahr liegen normalerweise drin. In diesen meidet er es bewusst, über den eigenen Betrieb zu reden. «Klar geniesst man in den Ferien feines Essen und schönen Wein und besucht spannende Lokale. Das ist schliesslich mein Lebensinhalt, meine Passion. Aber das eigene Business ist komplett tabu.»

Auf Anhieb wurde sein Restaurant mit 17 Punkten und einem Stern ausgezeichnet. Nie im Leben habe er damit gerechnet. Aber er mache sich darüber halt auch kaum Gedanken. «Diese Ratings sind für mich eine logische Folge unserer täglichen, harten Arbeit. Ich renne ihnen nicht krampfhaft hinterher.» Der 29-Jährige hat das Glück, mit Remo Stoffel einen engagierten Investoren im Rücken zu wissen. «Wir haben ein tolles Verhältnis auf einer Vertrauensbasis.» Dennoch gesteht er, dass ein Punktabzug bei der nächsten Bewertung fatal wäre. Er würde sich hinterfragen und neu besinnen müssen.

Weshalb er sich die Spitzengastronomie überhaupt antut, weiss Wassmer genau: «Mir war das Produkt schon immer wichtig. Und darauf wurde früher nur in der Spitzengastronomie geachtet.» Er sei noch nie an einen Punkt gekommen, an dem er am liebsten alles hingeschmissen hätte. Für seine Ausgeglichenheit helfen ihm die Spaziergänge im Wald, auf denen er Naturprodukte sammelt, die Reisen und seine Familie. «Und ab und zu das Skateboard, wobei ich immer seltener dazu komme.»

Ausbauen, verfeinern, eine noch bessere Geschichte erzählen: Wassmer sprüht vor Tatendrang

20 bis 26 Gäste bekocht er pro Abend. Sein Team besteht aus zehn Personen: fünf in der Küche, vier im Service und einer im Backoffice. «Vor der Veröffentlichung der Bewertungen haben wir darüber gerätselt, ob und wie wir aufgenommen würden. Aber nervös war ich deswegen nicht.»

Wassmer sprüht vor Energie, wenn er von der Arbeit redet. Spricht vom Ausbauen, vom Verfeinern und von einer noch besseren Geschichte, die er seiner Kundschaft durch die Gerichte erzählen möchte. Wie viel er dafür arbeitet? «Weiss ich nicht. Aber es ist ein Fass ohne Boden.» Sagt es und lacht.

Speinle und Wassmer – zwei Junge voller Power. Den Gipfel erklimmen sie von zwei ganz verschiedenen Seiten.