Stefan Heilemann erhielt im Zürcher «Ecco» auf Anhieb zwei Sterne. Dennoch verliert er den Boden unter den Füssen nicht. Die Stimmung im Team ist dem Küchenchef sehr wichtig.
Hotellerie Gastronomie Zeitung: Wie lernt man, ein guter Chef zu sein?
Stefan Heilemann: Als erstes braucht es einfach einen gewissen Charakter. Den hat man oder eben nicht. Der kommt von zu Hause. Ich habe immer gelernt, Menschen zu respektieren und so zu behandeln, wie du selber behandelt werden möchtest.
Und sonst?
Dann gibt es Erfahrungen, die man sammelt. Dinge, die man übernehmen will, und Dinge, bei denen man sagt: So will ich das nicht machen. Die gab es auch. Mein Ausbildner in der «Traube Tonbach» hatte einen familiären Stil, der mir gefiel. Danach durfte ich zu Harald Wohlfahrt. Laute Worte waren nie sein Ding.
Sondern?
Wenn irgendwas nicht stimmte, redete er einem ins Gewissen: «Das ist Ihre Verantwortung, Sie müssen sich darum kümmern.» Er hat auch die Hierarchien immer sehr klar eingehalten. Nie den Jungkoch zu sich genommen, sondern uns. Das fand ich sehr fortschrittlich.
Dann wechselten Sie zu Rolf Fliegauf ins «Ecco». Was lernten Sie von ihm?
Vor allem, was für ein Luxus es ist, nur einen Service pro Tag zu haben. Bei zwei Services wird die Haut immer dünner. Da ist es schwieriger, jeden immer anständig zu behandeln. Wenn es den Leuten gut geht, ist die Führung einfacher. Wenn man den Leuten eine Perspektive bieten kann, sie faire Arbeitszeiten haben und ein Pensum, das in der Arbeitszeit machbar ist, ist die Motivation viel höher. Zudem habe ich übrigens die Ausbildung zum Küchenmeister gemacht.
Was nervt Sie?
Ungerechtigkeiten. Wenn ich einen Fehler mache, dann stehe ich dazu. Aber wenn ich pauschal für irgendwelche Fehler verantwortlich gemacht werde oder wenn ich für Dinge kritisiert werde, die eigentlich andere zu verantworten habe, dann ist das einfach nicht fair. Führung muss transparent sein. Der Mitarbeiter muss wissen, was er zu verantworten hat und wie allfällige Konsequenzen aussehen. Willkür ist nicht okay.
Was ist Ihnen bei der Arbeitsweise der Mitarbeiter wichtig?
Etwas vom wichtigsten ist, dass sie begreifen, was der Chef will und wie der denkt. Dann muss ich nicht mehr so viel führen. Und dass es ihnen gut geht. Und dass sie genügend Geld haben.
Dafür müssen Sie sich ab und zu einsetzen?
Ja, natürlich. Ah, übrigens auch die Presse: Mir ist es wichtig, immer wieder das Team in den Vordergrund zu stellen. Meinen Souschef oder den Pâtissier zu präsentieren. Meine Mitarbeiter sollen wissen, dass ich nicht glaube, dass ich alleine das «Ecco» bin. Ohne mein Team funktioniert hier gar nichts.
Das klingt sehr geerdet. Heben Sie denn vor lauter Lob, Punkten und Sternen nie ab?
Ganz sicher nicht. Im Gegenteil: Wenn unser Spüler ausfällt, bin ich der Erste, der seinen Posten übernimmt. Die Vorbildfunktion ist mir sehr wichtig.
Dann spülen Sie stundenlang?
Spätestens nach zehn Minuten kommen meine Köche und sagen: «Nein, Chef, du musst nicht spülen. Wir machen das.» Aber dadurch, dass ich zuerst selber die Spüle übernommen habe, ist der Effekt fürs Team viel grösser, als wenn ich nur vorne hin stehe und einem Koch befehle, zu spülen.
Macht Sinn.
Absolut. Wissen Sie, mir ist auch bewusst, wie viel Lob ich abkriege. Ich verabschiede jeden Gast persönlich. Meine Mitarbeiter müssen aber auch spüren, dass Ihre Arbeit geschätzt wird und mir ihr Anteil am Erfolg bewusst ist.
Spüren Sie, wenn es einem Mitarbeiter nicht gut geht.
Ja. Wir sind wirklich eine kleine Familie. Wir haben seit etwas mehr als zwei Jahren geöffnet und hatten nur einen Abgang. Er verliess uns, weil er den Betrieb der Schwiegereltern übernahm. Alle anderen sind seit Beginn dabei. Das sagt alles.
Wissen auch die Mitarbeiter, wie es Ihnen geht?
Ja, wir sind untereinander sehr offen. Man erzählt sich, wenn man Sorgen oder Liebeskummer hat. Das gehört zum Leben.
Vertrauen oder Kontrolle?
Beides gehört dazu. Die Jungs dürfen nicht glauben, sie könnten machen, was sie wollen, und es interessiere keinen. Kontrolle muss sein, aber transparent. Ich bin keiner, der nachts durchs Kühlhaus geht und kontrolliert. Meine Mitarbeiter wissen aber genau: Wenn sie Saucen kochen, müssen sie bei mir vorbeikommen. Fleischproben kommen zu mir oder zu meinem Souschef. Da gibt es ein klares Kontrollsystem, um Fehler auszuschliessen.
Wie oft werden Sie als Chef enttäuscht?
Selten. Und wenn doch, dann meistens menschlich. Dann finde ich das zwar schade. Aber ich muss auch ehrlich zu mir selbst sein: Ich bin auch nicht jeden Tag perfekt. Ich mache auch Fehler. Nur sagt mir das eben keiner mehr, weil ich der Chef bin. Gefährlich wird es, wenn man denkt, man sei unfehlbar, nur weil man von keinem mehr auf Fehler aufmerksam gemacht wird. Aber ich bin doch nicht Gott.
Was machen Sie, wenn Sie Fehler entdecken?
Dann hole ich den Mitarbeiter nach dem Service ruhig zu mir. Der Effekt ist viel grösser, als wenn du ein grosses Theater veranstaltest. Wichtig ist mir, dass aus Fehlern gelernt wird.
Kriegen Sie auch Feedback?
Ja, einerseits vom Management, anderseits führe ich mit meinen Mitarbeitern zweimal pro Jahr individuelle Gespräche. In Umfragen bewerten Sie dabei auch das Führungsteam. Aber noch viel wichtiger ist es, im Alltag miteinander zu reden. Ob zwischen Mitarbeitern oder mit dem Chef stauen sich Kleinigkeiten sonst an, die man am besten rasch und unkompliziert ansprechen sollte.
Also gibts doch Reibereien?
Man muss bedenken, dass wir sieben gute Köche sind, die in ihrem Leben viel erreichen werden. Sieben Alphatiere, keiner, der den Kopf einzieht. Da ist es wichtig, dass ich merke, wenn etwas im Busch ist, und es anspreche.
Wann werden Sie laut?
Wenn ich merke, dass mir jemand auf der Nase rumtanzen will. Ich lasse mich nicht gerne verarschen. Kommt aber selten vor, weniger als einmal im Monat.
(Interview Benny Epstein)
Stefan Heilemann (36) ist Chef im mit 2 Michelin-Sternen und 17 Gault-Millau-Punkten ausgezeichneten «Ecco» im Fünfsternehotel Atlantis by Giardino. In der Küche hat er einen Souschef und fünf Postenchefs.