«Lernende brauchen Zeit und Stabilität»

Barbara Schmocker ist Psychologin bei Workmed. Sie wird dann gerufen, wenn es in der Lehre schwierig wird.

Eine konstante Bezugsperson ist für Lernende besonders wichtig, so dass gegenseitiges Vertrauen entstehen kann. (Adobe-Stock)

Barbara Schmocker, warum gibt es beim Wechsel von der Schule ins Arbeitsleben häufig Probleme?
Beim Wechsel in die Lehre beginnt ein komplett neuer Lebensabschnitt. Es gibt neue Regeln und Anforderungen, und man muss sich selbst organisieren. Das ist für viele Jugendliche eine Herausforderung.

Sehen Sie das Gastgewerbe dabei kritischer als andere Branchen?
Die Hürden, welche die Jugendlichen von der Schule zur Lehre überwinden müssen, sind in Branchen wie der Gastronomie hoch. Die Präsenzzeiten sind anders und die Arbeit oft auch körperlich anstrengend. Das führt dazu, dass die Eingewöhnungsphase länger ist und es vielleicht mehr Training braucht.

Was brauchen Ausbildende, damit sie Lernende optimal begleiten können?
Wir hören immer wieder, dass Berufsbildende nicht genug Zeit haben. Die brauchen sie, um jemanden einzuarbeiten und im Alltag auch einmal zur Seite zu nehmen. Sie brauchen Zeit, um sich weiterzubilden und Wertschätzung für ihre Tätigkeit. Zudem brauchen sie ein Interesse für die jungen Menschen und dafür, was in der Adoleszenz abläuft und welche Herausforderungen es gibt.


Die Psychologin Barbara Schmocker beschäftigt sich seit 2016 mit dem Thema Arbeit und psychische Gesundheit.


Welche Rolle spielt der Austausch untereinander?
Berufsbildende werden oft alleine gelassen. Es ist sinnvoll, dass sie den Austausch mit Berufskollegen pflegen, die ihre Situation verstehen. Besonders, wenn es Probleme gibt. Auch die Möglichkeit, externen Support beiziehen zu können, ist wichtig.

Auf welche Signale können Sie achten, wenn es um die psychische Gesundheit der Lernenden geht?
Es wäre toll, wenn es eine abschliessende Checkliste gäbe. Die gibt es aber leider nicht. Man sollte Veränderungen genau beobachten und möglichst früh ansprechen. Wenn es beispielsweise einen Leistungsabfall gibt oder mehr Flüchtigkeitsfehler passieren. Oder wenn jemand, der vorher gut ins Team integriert war, sich plötzlich zurückzieht. Oft spüren wir auch, wenn etwas nicht stimmt.

In welchen Situationen wird Workmed gerufen?
Bei uns melden sich Lehrbetriebe, wenn sie nicht mehr weiterkommen. Es kann sein, dass Lernende abtauchen und nicht erreichbar sind. Es gibt aber auch Betriebe, die zum Beispiel Fragen im Umgang mit ADHS-Betroffenen haben. Für eine Beratung braucht es keine Diagnose einer psychischen Erkrankung. Es gibt auch Auffälligkeiten, die weit weg sind von einem Krankheitsbild. Trotzdem ist es wichtig, sie früh anzugehen, so dass sich keine negativen Muster verstärken.

Wie gehen Sie bei einer solchen Beratung vor?
Es geht zunächst darum, gegenseitiges Verständnis zu schaffen. Wir schauen, wer alles in die Situation involviert ist und wie die verschiedenen Sichtweisen sind. Manchmal kommen auch Mitarbeitende der Schule sowie die Eltern dazu. Dann schauen wir, wie wir zusammen weitergehen und Veränderung anregen können.

Gehen Sie mit dem Ziel in eine Beratung, das Lehrverhältnis aufrechtzuerhalten?
Es ist wichtig, dass die Lernenden möglichst konstant in einer Struktur bleiben, um Brüche zu vermeiden. Konstanz ist wichtig in der Entwicklung, in der sie stecken. Dennoch gibt es Situationen, in denen eine Pause oder Auflösung die einzige Möglichkeit ist. Schwarz-Weiss-Denken wäre hier aber falsch. Gibt es beispielsweise die Möglichkeit, dass jemand Teilzeit arbeitet? Oder kann jemand, der mit der Schule Mühe hat, hier etwas langsamer aufbauen?

Könnte sich die Zahl der Lehrabbrüche verringern, wenn vermehrt auf die psychische Gesundheit der Lernenden geachtet würde?
Davon kann man ausgehen. Ist die psychologische Sicherheit von Mitarbeitenden hoch, ist die Fluktuation gemäss Studien geringer. Beziehungsarbeit und Vertrauen sind hier besonders wichtig. Dafür braucht es unter anderem eine konstante Bezugsperson und den Austausch mit Gleichgesinnten, also anderen Lernenden. Es ist  auch wichtig, sich bewusst zu machen, dass der Stress gerade im Gastgewerbe hoch ist. Am Anfang lohnt es sich deshalb, hier zu investieren.

(Alice Guldimann)


Zur Person

Barbara Schmocker führt bei der Workmed AG arbeitspsychiatrische Abklärungen, Beratungen, Coachings und Behandlungen durch und ist ­in der Forschung tätig. Die Psychologin arbeitete vorher lange im Bildungsbereich, auch an Berufsfachschulen.

Bildungsforum 2023

Barbara Schmocker wird am Bildungsforum Restauration ein Referat zur psychischen Gesundheit bei Lernenden halten. Der Anlass findet am 18. September an der SHL Schweizerischen Hotelfachschule Luzern statt.


Mehr Informationen unter:

hotelgastrounion.ch/bvr
workmed.ch