Lange Zeit war der Verzehr von Pilzen in der Schweiz verpönt. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen sie sich als Lebensmittel durchzusetzen. Heute finden sich in der Schweizer Küche nicht nur einheimische und importierte Wildpilze, sondern auch inländische Zuchtpilze.
Erst vor zwei, maximal drei Generationen haben die Schweizer den Genuss von Wildpilzen überhaupt erst entdeckt. Bis teilweise weit ins 20. Jahrhundert hinein war deren Genuss verpönt, nur vereinzelt gab es den einen oder anderen Steinpilz, gelegentlich einige Eierschwämme und in wohlhabenderen Haushalten auch mal Trüffel oder Morcheln. An Blutreizker, Waldchampignons oder gar Schirmpilze wagte sich kaum jemand. Zu ungesichert war das Wissen über die Pilze. Erste Feldführer kamen erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf, ebenso wie Pilzvereine oder Pilzkontrollstellen.
Der Verbreitung von Wildpilzen als Lebensmittel verhalf in der Schweiz vor allem ein Mann zum Durchbruch, über den man heute kaum mehr viel weiss, ausser dass er aus Deutschland eingewandert war und einige Jahrzehnte in Luzern gelebt hatte: Julius Rothmayr. Mit Ausstellungen und Vorträgen, die er in der ganzen Schweiz hielt, gehörte er zu den Vorreitern bei der Entdeckung der Wildpilze als Lebensmittel und auch als Speisegewürz. Über den Blutreizker etwa (lateinisch: Lactarius deliciosus) schrieb er: «Er zählt wohl zu den besten Gewürzspeisepilzen und führt nicht umsonst seinen Namen deliciosus» in seinem Feldführer «Pilze des Waldes». Seine Tochter, Marie Rothmayr, veröffentlichte in den 1920er-Jahren in Luzern zudem eines der ersten Schweizer Kochbücher mit Pilz-Rezepten.
Schon um 1908 wurden auf dem Zürcher Pilzmarkt 8000 Kilogramm Pilze verkauft, in Freiburg waren es im selben Jahr fast doppelt so viele. In Zürich zählten die Pilzkontrolleure bis zu 80 verschiedene Arten. Allzulange dauerte die Zeit indes nicht, da auf Schweizer Märkten Dutzende von wildwachsenden Pilzarten angeboten wurden. Bereits in den 1950er-Jahren begann insbesondere der Zuchtchampignon die allermeisten Wildpilze von den Marktständen zu verdrängen. Halten konnten sich bis heute allenfalls Morcheln, Steinpilze und Eierschwämme. Und seit wenigen Jahren tauchen immer häufiger einheimische Trüffel auf, deren Wachstum wohl nicht zuletzt dank der Klimaerwärmung auch im nördlichen Alpenraum zu einem wahren Trüffelsucher-Boom geführt hat.
Obwohl heute auch in der Schweiz zahlreiche vor allem aus dem asiatischen Raum stammende und im Handel zu moderaten Preisen erhältliche Pilze gezüchtet werden – wie der braune Kräuterseitling (Erinigi), der Shiitake oder der Austernseitling – und in vielen gut sortierten Gemüseabteilungen angeboten werden, erleben Wildpilze einen nie dagewesenen Aufschwung. Dies vor allem dank Importen aus Osteuropa, aus dem Balkan und im Winter selbst aus Südafrika.
Saisonal zu den frühesten heimischen Wildpilzen gehören die begehrten Morcheln, die wie etwa auch die leider etwas verpönten Mairitterlinge bereits im Frühjahr parallel zur Kirschblütenzeit spriessen. Die eigentliche Pilzsaison beginnt aber erst mit den Sommersteinpilzen im Juli und dauert dann unter milden herbstlichen Umständen und bei regelmässigen Niederschlägen bis anfangs November an. Für die im Boden wachsenden Trüffel geht die Saison auch noch bis ins neue Jahr hinein.
Die edleren der Wildpilze sollten in der allerwenigsten Fällen für Gerichte miteinander vermischt werden, zu dominant ist meist der eine oder andere Pilz. Steinpilze und Morcheln werden in vielen Fällen gar erst im getrockneten Zustand als intensive Gewürzpilze eingesetzt, da deren Aroma sich durch das Dörren exponentiell verstärkt. Eierschwämme hingegen schmecken frisch weit besser als getrocknet, auch lassen sie sich perfekt einlegen, ähnlich den Essiggurken und anderen in eine Essig-Gewürzmischung eingelegte Gemüse.
Zu den delikatesten Gerichten aus der Welt der Wildpilze gehören sicher die Schirmlinge (auch Parasol genannt), die sich dünn paniert bestens als knusprig gebratene Schnitzel eignen. Und eine aussergewöhnliche Spezialität sind die in unseren Breitengraden leider nur viel zu seltenen verwendeten Blutreizker, die in dünne Scheiben geschnitten, mit Mehl bestreut und leicht gesalzen, die allerbesten Pilzchips hergeben. Hierfür bäckt man sie in Sonnenblumenöl kurz aus und würzt sie dann mit einer Prise frisch gemahlenem schwarzen Pfeffer. Zum Kochen eignet sich der Blutreizker nicht, nur zum Backen. Oder er wird, wie in Spanien, ähnlich den Eierschwämmen als Vorrat in Essig eingelegt.
Zuchtpilze als Alternative
Für Wildpilze muss der Pilzliebhaber allerdings entweder tief in die Brieftasche greifen oder sich stundenlang durchs Unterholz schlagen. Für das schmalere Portemonnaie bieten Pilzzüchter nebst den altbekannten Zuchtchampignons heute eine stattliche Palette an Pilzen an, deren Zuchtmethoden vorwiegend aus Japan und teilweise auch aus China kommen. Die wichtigsten unter ihnen sind sicher der Enoki und der Shiitake. Diese beiden Pilze führen mengenmässig unter den weltweit gezüchteten Pilzen zusammen mit dem Champignon die Rangliste an (mehr Informationen zu den Schweizer Pilzzüchter gibt es unter www.champignons-suisses.ch).
Der Enoki hat – wie viele der neuen Exoten – den Steinpilzen und anderen edlen Pilzen einiges voraus. Denn er lässt sich züchten, und dies schon seit dem frühen Mittelalter. Derweil etwa in Europa die Zucht von Champignons erst im 17. Jahrhundert erstmals geglückt ist. Von den Erfahrungen aus Fernost profitieren heute zahlreiche Züchter in der Schweiz, dank denen auch der Samtfussrübling, wie der Enoki auf Deutsch heisst, längst auch in den hiesigen Supermarktregalen und auf den Märkten zu finden ist.
Der Enoki ist aber längst nicht der einzige Pilz, der von Asien herkommend allmählich auch in Schweizer Küchen Einzug hält. Dazu gehören auch der Pom pom (auch Igelstachelbart oder Affenkopfpilz genannt), der Eryngii (auch brauner Kräuterseitling oder Pleurotus) oder der nussig-würzige Shimeij. Oder mittlerweile auch der Nameko, wie das chinesische Stockschwämmchen genannt wird. Zahlreich wird in den nächsten Jahren auch die Zahl neuer Zuchtpilze sein, die auf den Markt kommen. Allein in der Schweiz befinden sich einige Dutzend Arten in der Testphase oder warten auf die Bewilligung, für den Markt zugelassen zu werden.
Die neuen Zuchtpilze sind vielseitig verwendbar, einige eher geschmort (wie der Kräuterseitling), andere ebenso auch roh (wie der Enoki), eine wunderbar geschmackvolle Ergänzung zu Mischsalaten. Shiitake wiederum passen bestens zu Pastagerichten und können ebenso vielseitig verkocht, gebacken oder wie Zuchtchampignons gedünstet werden. Diesen sind sie geschmacklich sogar deutlich überlegen.
Aufpassen sollten Pilzliebhaber indes nicht nur bei allen selbstgesammelten Pilzen, die von Laien zwingend in den zahlreich vorhandenen Pilzkontrollstellen gezeigt werden sollten. Ebenso vorsichtig sollte sein, wer irgendwelche insbesondere vermeintlich mit Trüffel gewürzte Pasten, Honige, Salze oder Öle kauft. Denn diese sind ausnahmslos mit industriell gewonnenen Aromastoffen gewürzt, auch wenn sie schönfärberisch mit Begriffen wie «naturidentisch» vermarktet werden. Vorsicht ist deshalb geboten! Wer sich einmal an diese synthetischen Aromen gewöhnt hat, der verliert die Fähigkeit, echten Pilzgeschmack überhaupt noch zu erkennen. Was schade wäre. Denn für jeden wahren Pilzliebhaber gehört ein Rührei mit auch nur ein wenig darüber gehobeltem heimischem Herbsttrüffel oder ein mit nur wenig getrockneten und fein gemörserten Steinpilzen gewürzter Risotto zu den grössten Graumenfreuden.
(Dominik Flammer/gab)
Foodscout und Buchautor Dominik Flammer wohnt in in Zürich und beschäftigt sich seit seiner Jugend mit der Geschichte der Ernährung. Flammer ist mit Pilzen – mit essbaren wie mit giftigen – aufgewachsen. Sein Vater, der St. Galler Arzt und Mykologe René Flammer, ist der Autor des Standardwerkes über Giftpilze, das 2014 in einer komplett überarbeiteten und von Dominik Flammer redigierten Neuauflage beim AT-Verlag erschienen ist. Beim selben Verlag ist im Frühjahr 2020 sein neuestes Werk erschienen unter dem Titel «Die historischen Gemüsegärten der Schweiz», in dem ebenfalls von Pilzkulturen die Rede ist.