Köche entwickeln eine Rarität weiter

Mit der Erforschung der Tessiner Gemüsesorte Gniff startete Pro Specie Rara eine erste Raronautik-Mission.

  • Die Gniff-Variationen: Deep Purple, Kreuzung Deep Purple mit Gniff, Gniff Original, Kreuzung Gniff mit Purple Haze, Purple Haze.(Bilder Priska Ketterer)
  • Die verschiedenen Sorten wurden roh, gedämpft und geröstet degustiert.
  • Meret Bissegger (l.) im Gespräch mit Sativa-Geschäftsführer Amadeus Zschunke.

Weisser Kern und violetter Rand. Das ist Gniff. Eine Rüebli-Neuzüchtung in modischen Farben? Keineswegs. Noch bis Ende des 19. Jahrhunderts war der Anbau und der Verzehr von weissen, gelben und schwarz-violetten Rüebli absolut nichts Ungewöhnliches. Heute sind diese Ursorten fast verschwunden. Leider auch das alte Tessiner Rüebli Gniff (ausgesprochen wird es «Niff»). Wildkräuter-Köchin und Buchautorin Meret Bissegger kennt die Sorte seit 1999 und vermutet, dass Gniff einst im Bleniotal im grossen Stil angebaut wurde. Heute ist Gniff auf Märkten nur noch selten und in kleinen Mengen zu finden. Die Karotte keimt im Vergleich zu anderen Sorten relativ schlecht, ist anfällig für Möhrenschwärze und liefert nur geringe Erträge.

Gniff ist einzigartig, nicht nur in Form und Farbe, sondern auch im würzigen, mineralisch-erdigen Geschmack. Damit es nicht gänzlich verschwindet, haben die Stiftung Pro Specie Rara und der Bio-Saatgutbetrieb Sativa in Rheinau vor Jahren ein Züchtungsprojekt lanciert, um die sortentypischen positiven Merkmale zu erhalten. In einem weiteren Projekt, der erst vor kurzem gegründeten Raronautik-Mission, will Pro Specie Rara verstärkt Köche und Gastronomen mit ins Boot nehmen. Führender Kopf von Raronautik ist der Spitzenkoch Tobias Zihlmann. Zusammen mit der Stiftung legt er den Fokus auf die geschmackliche Vielfalt alter Sorten.

«Wir stellen fast Vergessenes vor und wollen Inputs von Köchen abholen», sagt Tobias Zihlmann.

Zu einem ersten Treffen mit Interessenten aus der Branche, darunter auch Meret Bissegger, kam es vergangene Woche. Und zwar auf dem Gelände des Bio-Pflanz- und Saatgutbetriebs beim Kloster Rheinau. Die Sativa Rheinau AG, 1998 gegründet, arbeitet seit 1999 mit Pro Specie Rara zusammen. Dem Bio-Unternehmen geht es um die Erhaltung und Neuzüchtung von Gemüsesorten. Der Schwerpunkt: Samengewinnung. Von 600 Sorten sind 150 von Pro Specie Rara zertifiziert.

Sativa bewirtschaftet rund 16 Hektaren eigenes Land. Darüber hinaus arbeitet man mit 80 Bio-zertifizierten Vermehrungsbetrieben in ganz Europa zusammen. Mehrere Sorten von Pro Specie Rara bedurften schon einer «Blutauffrischung», um sie vital zu halten. Nun geht es um die Verbesserung von Gniff.

Bereits seit drei Jahren werden im Rheinauer Klostergarten Gniff und aus Kreuzungsgründen einmalig die Hybridsorten Purple Haze und Deep Purple angebaut. Jene sind in Optik und Geschmack der Sorte Gniff ähnlich und sorgten in zwei Kreuzungen für Blutauffrischung. Die Ergebnisse präsentierte Sativa der Raronautik-Gruppe, die unter der Leitung von Tobias Zihlmann die verschiedenen Karotten degustierte. Und zwar nach einem von ihm entwickelten Muster, bei dem Aussehen, Geschmack, Struktur und Mundgefühl im Mittelpunkt standen.

Gniff schmeckt erdig und hat vielschichtige Aromen

Verkostet wurden Gniff, die Hybridsorten und die beiden Neu- kreuzungen: roh, gedämpft und geröstet – mit teilweise verblüffenden Ergebnissen. So schmeckt Gniff roh «kohlrabig», herb-grün, erdig mit mineralischen Noten. Gedämpft ist die Sorte saftig und verliert in der Spitze an Schärfe. Geröstet entwickelt sie Süsskartoffel- und Marroniaromen. An Farbe verliert Gniff weder beim Dämpfen noch beim Rösten. Texturelle und aromatische Unterschiede treten jeweils zwischen Herz und Rüeblispitz auf. Etwas, das in der Verkostung aller Sorten zutage trat und die Raronauten doch recht erstaunte.

Nach mehreren Degustationsrunden zeigten sich die Tester von Gniff, den Partnersorten und den zwei Neukreuzungen beeindruckt. Im Vergleich zu orangen Sorten schmecken die Urrüebli zwar weniger süss, dafür aber würzig, «urchig» und authentisch. «So muss für mich ein Rüebli sein, das ich frisch aus dem Boden ziehe», sagt Tanja Büsser vom Restaurant Schäfli in Uznach. Daniel Eschmann, Küchenchef im Wohnheim Zürichberg in Zürich, schätzt vor allem das Rustikale im Gniff-Geschmack. Für die Tessiner Köchin Meret Bissegger ist Gniff nicht unbedingt das beste Rüebli, dafür aber eines mit besonderem Charakter.

Für die Zukunft – und als Leitplanken für die Züchtungsarbeit gedacht – wünschen sich die Köche die neue Gniff mit weissem Herz, stark violettem Rand, keilförmig und mit breiten Schultern. Der vielschichtige Geschmack der originalen Gniff soll aber bewahrt, die Karotte nicht zu süss werden.

(Jörg Ruppelt)


Mission 2

«Entdecken und experimentieren»
Die Vielfalt der Randen entdecken und kulinarisch ausreizen

Wann: 14. November 2016
Wo: Restaurant Jakob Hauptplatz 11, 8640 Rapperswil
Leitung: Tobias Zihlmann
Teilnehmer: Köche, Sensoriker
Thema: experimentieren mit verschiedenen Randen, erforschen von verschiedenen Verarbeitungs- und Zubereitungsmethoden


Anmelden für die zweite Raronautik-Expedition

 

Infos & Anmeldung:

Tel. 061 545 99 11
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Achtung: Die Teilnehmerzahl ist beschränkt.